Dein Job macht dich unglücklich, aber du bleibst trotzdem? Du verdrängst die Unzufriedenheit und belügst dich selbst, um den inneren Konflikt zu vermeiden. Dahinter steckt kognitive Dissonanz – der Widerspruch zwischen deinen Überzeugungen und deinem Handeln.

Anzeige

Definition: Was bedeutet kognitive Dissonanz?

Kognitive Dissonanz – ein Begriff, den der Sozialpsychologe Leon Festinger bereits 1957 prägte – beschreibt den inneren Konflikt, der entsteht, wenn unsere Überzeugungen oder Werte nicht mit unserem Verhalten übereinstimmen. 

Stell dir vor, du bist in einem Job, den du eigentlich nicht mehr ertragen kannst. Dein Chef ist unberechenbar, die Arbeitsbelastung erdrückend, und die Projekte langweilen dich zu Tode. Trotzdem sagst du dir jeden Morgen, dass es ja „gar nicht so schlimm“ sei. Tief im Inneren spürst du jedoch den Widerspruch: Du bleibst, obwohl du eigentlich gehen willst.

Dieser innere Konflikt – der Unterschied zwischen dem, was wir fühlen oder wissen, und dem, was wir tun – ist kognitive Dissonanz. Da Menschen ein starkes Bedürfnis nach innerer Konsistenz haben, empfinden wir Dissonanzen als stressig und versuchen sie zu reduzieren. Statt unser Verhalten zu ändern, neigen wir oft dazu, unsere Wahrnehmung zu verzerren, um die Dissonanz zu minimieren. Mit anderen Worten: Wir belügen uns selbst.

Anzeige

Selbsttäuschung am Arbeitsplatz – warum tun wir, was wir tun?

In der Arbeitswelt tritt kognitive Dissonanz häufig auf, denn hier prallen persönliche Überzeugungen, berufliche Anforderungen und gesellschaftliche Erwartungen aufeinander. Warum wir uns belügen, um diese Spannungen aufzulösen, hängt mit drei Hauptfaktoren zusammen:

1. Vermeidung von Schuld und Scham

Niemand gibt gerne zu, dass er vielleicht den falschen Karriereweg eingeschlagen hat oder in einem toxischen Umfeld feststeckt. Die Einsicht, jahrelang „falsch“ entschieden zu haben, wäre schmerzhaft und könnte Scham oder Selbstzweifel auslösen. Stattdessen versuchen wir, die Situation vor uns selbst zu rechtfertigen: „Es wird schon besser werden“, „Bald kommt die Gehaltserhöhung“ oder „Das Problem bin ich, nicht der Job.“

2. Soziale und finanzielle Abhängigkeiten

Der Gedanke, den Job zu wechseln, klingt verlockend, aber die Realität ist oft komplizierter. Finanzielle Verpflichtungen wie Miete, Kredite oder Familienunterhalt lassen viele Menschen in einem Job verharren, den sie nicht mögen. Hinzu kommt die Angst vor Unsicherheiten am Arbeitsmarkt, die den inneren Widerspruch verstärken. Anstatt das Risiko einzugehen, bleibt man im sicheren Hafen und redet sich ein, dass es „gar nicht so schlimm“ ist.

Anzeige

3. Berufliches Selbstbild

Viele Menschen identifizieren sich stark mit ihrer beruflichen Rolle. Ein Jobwechsel oder der Abschied von einer Karriere, in die man viel investiert hat, kann das Selbstbild erschüttern. Du bist vielleicht schon seit zehn Jahren in der Finanzbranche und fühlst, dass es nicht mehr passt, aber der Gedanke, alles hinzuschmeißen und bei Null anzufangen, erzeugt Dissonanz. Um die innere Spannung zu reduzieren, belügst du dich: „Ich bin eben nicht der kreative Typ“, „So schlecht ist der Job doch nicht, und andere haben es schlimmer.“

Der innere Kampf zwischen Sicherheit und Selbstverwirklichung

Nehmen wir Lea, 38 Jahre alt, seit 15 Jahren im gleichen Unternehmen in der Marketingabteilung. Sie war immer stolz auf ihren Job. Doch in den letzten zwei Jahren hat sie gemerkt, dass sie sich nicht mehr weiterentwickelt. Die Projekte wiederholen sich, sie fühlt sich ausgebrannt, und die Freude, die sie früher empfunden hat, ist verschwunden. Innerlich weiß sie, dass sie sich verändern muss. Ihre Leidenschaft für Design und Kreativität schlummert in ihr, und sie träumt davon, eine eigene Agentur zu gründen.

Aber die Sicherheit des monatlichen Gehalts, der unbefristete Arbeitsvertrag und die Sorge um ihre finanzielle Zukunft halten sie davon ab, diesen Schritt zu wagen. Jeden Morgen, wenn sie zur Arbeit fährt, redet sie sich ein: „Es ist ja nur eine Phase“, „Ich bin doch eigentlich in einem sicheren Job – das sollte ich schätzen.“ Doch die innere Unruhe wächst.

Anzeige

Ein weiteres Beispiel ist Tom, 42, ein leitender Angestellter in einem großen Tech-Unternehmen. Nach außen hin wirkt alles perfekt: hohe Verantwortung, gutes Gehalt, Ansehen. Aber Tom fühlt sich immer mehr von den Unternehmenswerten entfernt. Während er seinen Mitarbeitern integritätsbasiertes Handeln predigt, ist er selbst oft gezwungen, Kompromisse zu machen, um die Ziele der Firma zu erreichen. Er fühlt sich heuchlerisch, aber gleichzeitig will er die Position, für die er so hart gearbeitet hat, nicht aufgeben. Tief in ihm wächst die Unzufriedenheit, doch die Angst, all das aufzugeben, was er sich erarbeitet hat, lässt ihn weitermachen. Er sagt sich: „Es ist ja nur für eine Weile“, „Ich kann das aushalten.“

Beide Beispiele zeigen den inneren Druck, den viele Menschen in der Arbeitswelt empfinden. Die Dissonanz zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und der Angst vor Unsicherheit oder Verlust bringt Menschen wie Lea und Tom dazu, sich selbst zu belügen. Sie nehmen die innere Spannung in Kauf, weil die Alternativen unsicher erscheinen. Diese Selbsttäuschung führt jedoch zu einem schleichenden Verlust der Zufriedenheit und oft auch der Leistungsfähigkeit.

Wie äußert sich kognitive Dissonanz im Joballtag?

Die Selbsttäuschung in beruflichen Kontext bleibt selten ohne Folgen. Kognitive Dissonanz führt zu Verhaltensweisen, die sich negativ auf die Karriere auswirken können:

Anzeige
  • Aufschieben von fundamentalen Entscheidungen: Du weißt, dass es Zeit für einen Jobwechsel wäre, aber anstatt aktiv zu handeln, zögerst du hinaus. Du schiebst die Entscheidung vor dir her, während die Unzufriedenheit wächst.

  • Reduzierte Leistungsfähigkeit: Die innere Zerrissenheit kostet viel Energie. Du bist geistig blockiert, weniger motiviert und hast das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Selbst einfache Aufgaben fallen schwer, weil die Dissonanz dich mental zermürbt.

  • Verstärkter Zynismus: Um die Spannung zu rechtfertigen, entwickeln manche Menschen eine zynische Haltung gegenüber dem Job oder dem Arbeitgeber. Anstatt die Situation aktiv zu ändern, fügen sie sich in eine passive Opferrolle und schieben die Schuld auf äußere Umstände: „Das Management ist unfähig“ oder „Es hat eh keinen Sinn, etwas zu ändern.“

Wie mit kognitiver Dissonanz im Job umgehen?

Es gibt keine einfache Lösung für die Herausforderungen, die kognitive Dissonanz im Berufsleben mit sich bringt. Der erste Schritt ist jedoch, die eigene Selbsttäuschung zu erkennen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Hier sind einige Ansätze, wie du die Dissonanz abbauen kannst:

1. Selbstreflexion und Achtsamkeit

Nimm dir bewusst Zeit, deine berufliche Situation und deine Gefühle zu reflektieren.

  • Was verursacht den inneren Konflikt?
  • Sind es wirklich äußere Umstände oder vielleicht tiefere persönliche Wünsche, die du ignorierst?

Achtsamkeitstechniken, wie das Führen eines Tagebuchs oder Meditation, können helfen, den emotionalen Nebel zu lichten und ein klareres Bild deiner Situation zu gewinnen. Dabei geht es nicht nur darum, kurzfristige Stressoren zu identifizieren, sondern wirklich zu verstehen, was du langfristig von deinem Job und deinem Leben erwartest.

Anzeige

2. Offene Kommunikation

Häufig vermeiden wir es, offen über unsere beruflichen Konflikte zu sprechen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Doch gerade Gespräche mit Kollegen, Vorgesetzten oder einem Coach können helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und Lösungen zu finden.

Lea könnte etwa mit ihrem Vorgesetzten über Weiterbildungsmöglichkeiten im kreativen Bereich sprechen, um in ihrer aktuellen Rolle mehr Erfüllung zu finden. Tom hingegen könnte offen mit seinen Mitarbeitern über die Spannungen sprechen, die er empfindet, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie sie trotz unternehmerischer Herausforderungen ihren Werten treu bleiben können.

3. Akzeptanz von Unsicherheit

Ein großer Teil der kognitiven Dissonanz im Job entsteht durch die Angst vor Unsicherheiten. Die Idee, dass wir stets den perfekten Karriereweg wählen müssen, ist jedoch ein Trugschluss. Akzeptiere, dass es normal ist, Unsicherheiten und Rückschläge zu erleben. Auch Lea und Tom könnten von dieser Akzeptanz profitieren, indem sie lernen, dass es keine „perfekte“ Lösung gibt und dass berufliche Wege sich entwickeln und verändern dürfen. Dies kann den Druck mindern, falsche Entscheidungen rechtfertigen zu müssen.

Anzeige

4. Prioritäten neu setzen

Frage dich, was dir wirklich wichtig ist. Vielleicht ist es Zeit, nicht länger dem äußeren Erfolgsdruck zu folgen, sondern eine Karriere zu suchen, die deinen persönlichen Werten entspricht. Das bedeutet nicht zwingend, alles über Bord zu werfen, aber es kann helfen, neue berufliche Prioritäten zu definieren.

Lea könnte sich zum Beispiel fragen, ob ihr langfristiger Traum der Selbstständigkeit wirklich mehr Erfüllung bringen würde, als sich innerhalb ihres Unternehmens weiterzuentwickeln. Tom könnte überlegen, ob er durch einen Wechsel in eine ethisch geführte Firma nicht mehr Erfüllung finden könnte, selbst wenn das Gehalt niedriger wäre.

Mehr Mut zur Ehrlichkeit – vor allem zu sich selbst

Kognitive Dissonanz ist ein Teil unseres beruflichen Alltags – besonders heutzutage, in der Erwartungen hoch und Anforderungen vielfältig sind. Wir belügen uns oft selbst, um inneren Konflikten zu entkommen, weil der Mut, Veränderungen zu wagen, mit Unsicherheiten verbunden ist. Doch langfristig zahlen wir für diese Selbsttäuschung einen hohen Preis: Unsere Zufriedenheit, Produktivität und mentale Gesundheit leiden.

Es ist wichtig, diese innere Spannung zu erkennen und den Mut aufzubringen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Das bedeutet nicht, sofort radikale Entscheidungen treffen zu müssen, sondern kleine, achtsame Schritte in Richtung Veränderung zu gehen. Denn der Job sollte kein Ort sein, an dem wir uns täglich selbst belügen müssen – sondern einer, der uns erfüllt und in dem wir authentisch sein können.

Lea und Tom stehen für viele von uns: Sie haben ihre Kämpfe, ihre Ängste und ihre Unsicherheiten. Doch nur durch den Mut zur Ehrlichkeit und die Bereitschaft, ihre Prioritäten neu zu setzen, können sie den inneren Druck lösen und eine Zukunft gestalten, die nicht auf Selbsttäuschung, sondern auf echter Zufriedenheit basiert.

Hast du schon einmal gemerkt, dass du dich in deinem Job selbst belügst, um eine notwendige berufliche Veränderung zu vermeiden?

Anzeige

Anzeige