Die sinkende Zahl der Existenzgründungen bereitet Deutschland Sorgen. Lohnt sich eine Selbstständigkeit noch?

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In Deutschland machen sich immer weniger Menschen selbstständig. Rund 57.000 weniger Existenzgründungen konnte die Bundesrepublik 2022 laut KfW-Gründungsmonitor 2023 verzeichnen. Die Quote sei damit im Vergleich zu 2021 um neun Prozent gesunken, was die KfW als „Dämpfer“ bezeichnet. Der Rückgang bezieht sich auf Voll- und Nebenerwerbsgründungen.

Positive Tendenz: „Post-pandemischer Wunsch“, sich zu verwirklichen

Für Deutschland sei die Entwicklung schlecht, so KfW-Chefvolkswirtin Dr. Fritzi Köhler-Geib, die auf die Wichtigkeit der Gründerinnen und Gründer für die Wirtschaft der Bundesrepublik verweist. Aber eine Stabilisierung sei zu erwarten, heißt es in der aktuellen Studie.

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Erwähnenswert ist vor allem ein spezielles Gründungsmotiv, welches Hoffnung macht und laut KfW-Gründungsmonitor hervorsticht. So erfolgten demnach mehr Existenzgründungen auf Basis eines „post-pandemischen Wunsches zur beruflichen Neuorientierung“. Die Entwicklung lässt sich mit dem Phänomen der „Great Resignation“ in Verbindung bringen: Mehr Arbeitnehmer haben sich während und nach der Pandemie getraut, ihren derzeitigen Job zu kündigen, um sich beruflich umzuorientieren – oder aus ihrem Angestelltenverhältnis heraus zu gründen. Auch wenn es 2022 weniger Gründungen gab, ist die Tendenz deshalb grundsätzlich positiv.

Warum wagen weniger Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit?

Ein Abwärtstrend ist vor allem aufgrund der Pandemie zu verzeichnen, aber neu ist die Nachricht, dass Gründungen zurückgehen, dennoch nicht. Seit vielen Jahren ist der Trend zu beobachten. Die Krise während Corona hat die Situation für potenzielle Gründerinnen und Gründer verschärft, weil sie im Falle einer Selbstständigkeit ein höheres wirtschaftliches Risiko tragen. Doch auch Krisenzeiten bieten Chancen – besonders für Innovation. Die Ungewissheit, die eigene Selbstständigkeit finanziell während Pandemie, Krieg oder Inflation abzusichern, ist jedoch häufig unkalkulierbar groß, weshalb potenzielle Gründer zurückschrecken.

Auch eine günstige Arbeitsmarktlage hält abhängige Beschäftigte zurück. Sie gründen nicht, um von ihrer Arbeitsplatzsicherheit zu profitieren, die zwar nie zu 100 Prozent vorhanden, im Vergleich zur Selbstständigkeit jedoch größer ist. Der Bewerbermarkt macht es für viele Erwerbstätige leichter, an eine verhältnismäßig attraktive Stelle zu kommen. Ist die Entwicklung des Marktes in Krisenzeiten nicht prognostizierbar, entscheiden sich Beschäftigte ebenfalls für ein festes Arbeitsverhältnis.

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Selbstständig machen: Aus diesen Gründen lohnt es sich heute noch

1. Potenzial für Innovation ist groß

Die digitale Transformation und der Trend hin zu einer nachhaltigen Welt bieten für Gründer noch größere Innovationschancen als zuvor. Ob Online-Handel, ein „grünes“ Businessmodell für mehr Nachhaltigkeit oder Dienstleistungen, die im B2B oder B2C generell gefragt und zugleich neuartig sind – Potenzial und Bedarf sind vorhanden. Deshalb kann sich das Gründen auch (oder gerade) während gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungsprozesse als Chance herausstellen, um sich erfolgreich am Markt zu etablieren. Risiko und Möglichkeit: Beides ist vorhanden.

2. Mehr Flexibilität für selbstständige Unternehmer

Anders als abhängig Beschäftigte genießen Gründer als ihre eigenen Chefs eine deutlich größere Entscheidungsfreiheit in Sachen Arbeitsort und Arbeitszeit. Die Unabhängigkeit gehört bis heute zu den vielen Privilegien und Vorteilen, die so einige innovative Köpfe dazu veranlasst hat, ihr eigenes Ding durchzuziehen und ihr Business zu vergrößern. Und diese Flexibilität wird zunehmend größer: Mehr als eine stabile Internetverbindung samt Smartphone, Tablet oder Laptop ist oft nicht nötig, um geschäftliche Termine wahrzunehmen oder täglichen Aufgaben, Beratungen oder Meetings abzuhaken.

Besonders Selbstständige mit Familie können – wenn sie es schaffen – flexibler in Sachen Freizeitplanung mit Kindern oder Partnern sein. Gleichzeitig bedeutet eine Selbstständigkeit zumeist nicht weniger, sondern vor allem zu Beginn und bei Wachstum mehr Arbeit.

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3. Mehr Möglichkeiten, Zielgruppen direkt anzusprechen

Selten haben Selbstständige solch eine Möglichkeit gehabt, ihre Zielgruppen in dem Umfang auf sich aufmerksam zu machen, wie es heute der Fall ist. Online-Marketinginstrumente sowie klassische Werbemethoden eröffnen ungeahnte Chancen, um das eigene Business zu etablieren und zu einer Marke zu machen. Günstige Voraussetzungen also, um endlich den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Wer sich zu unsicher fühlt, startet zunächst mit einer Nebenerwerbsgründung. Und wer weiß: Vielleicht hat der Hauptjob im Angestelltenverhältnis früher oder später doch ausgedient?

Gründen: Welche Argumente sprechen dagegen?

1. Anstellung bietet mehr Arbeitsplatzsicherheit

Inflation, höhere Lebenshaltungskosten, gigantische Mieten – und dann die Rezession: Gerade jetzt setzten viele Arbeitnehmer auf ihren sicheren Arbeitsplatz, wenn sie sich in einer Festanstellung befinden. Obwohl wirtschaftlich schwierige Zeiten auf einen ausgeprägten Erfindergeist mit Innovationsbegeisterung reizvoll wirken, besteht das Risiko des Scheiterns. Bereits in den ersten drei Jahren müssen viele Gründer feststellen: „Das war ein Schuss in den Ofen!

Wer sich nach Sicherheit sehnt, hält sich mit seinen Gründungsträumen deshalb oft zurück. Geregelte Arbeitszeiten sowie feste Löhne und Gehälter klingen in solchen Fällen wie Musik in den Ohren. Gerne verzichten Arbeitnehmer mit Festvertrag dann auch auf die Freiheiten, die eine Selbstständigkeit bieten könnte.

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2. Fachfremde Herausforderungen

Fachkräfte und innovative Experten kennen sich bestens mit ihrer Materie aus. Ihre Kernkompetenzen beherrschen sie. Alles, was über dieses Wissen hinausgeht, könnte bei einer Existenzgründung überfordern. Denn Gründen bedeutet immer auch, ein Risiko einzugehen und sich mit (fach)fremden Aufgaben und Herausforderungen auseinandersetzen zu müssen. Outsourcing mag eine Lösung sein, doch gerade zu Beginn ist das Budget nicht immer ausreichend. Auf diese Weise könnte es zu einer neuen Art der Abhängigkeit kommen, obwohl die Unabhängigkeit ein bedeutender Grund war, um sich selbstständig zu machen.

3. Finanzielles Risiko

Die Selbstständigkeit kann und wird in so einigen Fällen scheitern. Das finanzielle Risiko, welches Unternehmer tragen, ist hoch und es unterscheidet sie von Angestellten. Sie verantworten laufende Betriebskosten und müssen für genügend Umsatz sorgen.

Getan ist es damit längst nicht: Ein finanzielles Polster für Zeiten, in denen es keine Aufträge gibt oder ein Krankheitsfall eintritt, ist ein Muss. Können nicht genügend Einnahmen generiert werden, steht die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel. Mitarbeiter werden entlassen, Sparmaßnahmen vorgenommen, eventuell eine Insolvenz angemeldet.

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Selbstständigkeit kann sich lohnen – wenn die Voraussetzungen stimmen

Unternehmerisches Denken, eine große, aber kalkulierbare Portion Risikobereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und eine ausgeklügelte Finanzstrategie gehören unter anderem zu den Basics einer Gründung. Darüber hinaus sollten potenzielle Gründer wissen, welchen Markt sie bedienen – und welchen Bedarf ihre Zielgruppe hat.

Vor allem der letzte Punkt ist entscheidend: Oft scheitern Gründer, weil sie ihre Vision nicht mit den realen Marktbedingungen abgleichen, den tatsächlichen Bedarf unrealistisch einschätzen oder schlichtweg ihre Value Proposition (Wertversprechen) nicht deutlich machen. Dann erübrigt sich auch die Frage, ob eine Selbstständigkeit sich lohnt.

Auf die äußeren Umstände hingegen haben Unternehmer keinen Einfluss – das hat die Pandemie bewiesen. Lohnen kann sich eine Selbstständigkeit in Deutschland dennoch, sofern die Voraussetzungen stimmen. Und doch lässt sich die Frage aufgrund schwankender Marktbedingungen nicht eindeutig oder pauschal beantworten.

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Es gilt, gut abzuwägen: Wer Freiheit gegen Sicherheit eintauscht, geht ein Risiko ein, welches im schlimmsten Fall den finanziellen Ruin bedeuten kann. Im besten Fall aber führt die Selbstständigkeit zur beruflichen Selbstverwirklichung – und davon träumen viele Arbeitnehmer, die kurz davor stehen, den Absprung endlich zu wagen.

Bild: DjelicS/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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