Anschreien im Job ist kein Führungsstil. Es ist ein Machtinstrument. Und zwar ein ziemlich armseliges. Denn hinter dem Geschrei steckt selten echte Wut, oft aber ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach Kontrolle. Manche Chefs brüllen nicht, weil sie die Führungsrolle emotional überfordert, sondern weil sie es genau so wollen.
Warum Chefs wirklich schreien – und was sie davon haben
Was früher als „Durchgreifen“ galt, ist heute entlarvt: Als emotionaler Missbrauch im Business-Kostüm. Die University of Georgia hat untersucht, warum manche Vorgesetzte regelmäßig laut werden und kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Nicht alle schreien aus Stress. Viele tun es, um sich danach besser zu fühlen. Ja, wirklich: Sie brüllen sich in einen Rausch der Selbstbestätigung.
Diese Chefs wollen nicht „Dampf ablassen“, sie wollen Wirkung. Sie schreien, um Druck zu machen, sich durchzusetzen und klarzustellen, wer hier das Sagen hat. Und sie empfinden danach keine Reue, sondern Genugtuung. Denn sie haben bekommen, was sie wollten: Aufmerksamkeit. Unterwerfung. Kontrolle.
Psychologisch betrachtet erfüllt das Schreien ein tiefes Bedürfnis: nach Selbstwirksamkeit. Wer sich im Inneren ohnmächtig fühlt, sei es durch schlechte Ergebnisse, mangelnde Anerkennung oder persönlichen Stress, greift zur akustischen Brechstange.
Besonders fatal: Viele dieser Muster stammen aus Kindheit und Sozialisation. Wer gelernt hat, dass man sich mit Lautstärke durchsetzt, übernimmt dieses Verhalten oft unreflektiert in den Job. Nur, dass dort keine Kinder sitzen, sondern hochqualifizierte Mitarbeitende mit Rückgrat und Kündigungsbereitschaft.
Folgen für Mitarbeitende: Angst statt Engagement
Was macht das mit einem Team? Kurzfristig: Entsetzen, Angst, Wegducken. Wer angeschrien wird, spurt vielleicht, aber nicht, weil er motiviert an die Arbeit geht, sondern weil er keinen weiteren Ärger will. Langfristig entsteht so ein toxisches Arbeitsklima. Mitarbeitende machen mehr Fehler, bringen keine Ideen mehr ein, übernehmen keine Verantwortung. Stattdessen: innere Kündigung, hohe Fluktuation, Vertrauensverlust oder Dienst nach Vorschrift. Und das Schlimmste: Viele machen sich klein und glauben irgendwann, sie seien wirklich so unfähig, wie man ihnen täglich entgegenschreit.
Die Folge? Gute Leute gehen. Und die, die bleiben, verstummen. Und die Führungskraft? Die glaubt immer noch, sie hätte alles im Griff, weil niemand widerspricht.
Was aber tun, wenn der Chef schreit?
Ganz ehrlich: Wer sich anschreien lässt, ohne etwas zu sagen, schützt nicht den Betriebsfrieden, sondern das Problem. Deshalb braucht es Grenzen. Klare. Selbstbewusste. Nicht genauso laut, aber bestimmt. „Bitte in diesem Ton nicht noch einmal“ ist kein Affront, sondern Selbstschutz. Wer laut wird, muss Konsequenzen spüren. Und die fangen beim Widerspruch an, gern auch schriftlich. Im Zweifel: Personalabteilung einbinden, Vorfälle dokumentieren, Unterstützer suchen.
Führung beginnt mit Selbstführung und Selbstreflexion
Aber eigentlich sollte der Impuls zur Veränderung von oben kommen. Von jenen, die laut werden. Wer andere führt, muss zuerst sich selbst führen. Das aber fällt vielen schwer. Und hieße ja: hinschauen.
- Warum reagiere ich so?
- Was macht mich so wütend?
- Warum verliere ich die Kontrolle?
Häufig ist nicht der Mitarbeitende, der das Problem ist oder irgendein Missgeschick, sondern das eigene Ego, das getriggert wird.
Der erste Schritt: Verantwortung übernehmen für das eigene Verhalten. Das bedeutet nicht: Fehler kleinreden. Sondern: Fehler einräumen. „Ich bin laut geworden, das war nicht okay.“ Dieser Satz zeigt mehr Führungsstärke als jedes Machtgebrüll.
Der zweite Schritt: Zuhören lernen. Wer seine Mitarbeitenden wirklich verstehen will, muss ihre Perspektive hören und wird hoffentlich anders reagieren.
Der dritte Schritt: Führungskompetenzen ausbauen. Es gibt heute unzählige Trainings, Coachings, Formate für Selbstreflexion. Keine Ausreden mehr, wenn es um die eigene Entwicklung geht.
Merke: Führung heißt nicht, den lautesten Ton anzuschlagen, sondern den richtigen. Nicht einschüchtern, sondern inspirieren. Nicht Gehorsam erzeugen, sondern Vertrauen aufbauen. Wer das nicht versteht, sollte keine Verantwortung für Menschen tragen.