Mit Geld um sich zu werfen, um Führungskräfte und Nachwuchstalente zu fördern, hilft nicht. Leadership-Expertin Katy Tynan veranschaulicht, was stattdessen wirkt.

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Die Entwicklung und Förderung von Führungskräften wird wichtiger. Denn deutsche Arbeitnehmer sind unzufrieden mit ihren Vorgesetzten. Lediglich ein Viertel der Beschäftigten sind laut „Gallup Engagement Index 2022“ glücklich mit ihren Chefinnen und Chefs. Schlechtes Führungsverhalten endet oft in einem Teufelskreis für Unternehmen: Ist die Belegschaft unmotiviert und unzufrieden mit Vorgesetzten, nimmt die Wechselbereitschaft im Team zu. Wenn Mitarbeiter gehen, steigt die Fluktuationsrate. Die Suche nach neuem Personal kommt teuer zu stehen.

Will ein Unternehmen Arbeitnehmer binden, fängt deshalb alles bei der Art, wie Führung gelebt wird, an. Doch die Entwicklung und Förderung von Führungskräften kostet ebenfalls Geld. Was besonders ärgerlich daran ist: Zwar fließen die Gelder, aber oft laufen die Investitionen ins Leere, wenn die Inhalte nicht in die Tat umgesetzt werden.

Katy Tynan (Forrester) ist Expertin für Führungs- und Organisationsentwicklung und erklärt: Virtuelle Lernkurse, wie sie heute oft angeboten werden, aber auch Workshops, bringen keine langfristigen Erfolge – zumindest nicht, wenn alles theoretisch bleibt. Dennoch geben viele Unternehmen gerne und viel Geld für diese Maßnahmen aus, oft in der Hoffnung, dass sich dann von selbst etwas tut. Das Problem ist, dass wir diese Inhalte schlicht und ergreifend vergessen.

Gedächtnisforschung: Die Vergessenskurve

Dabei sind Workshops und Lernkurse nicht per se schlecht, im Gegenteil. Sie werden nur falsch eingesetzt, weil die Nachbereitung fehlt. Theoretische Inhalte vermitteln zwar, worauf es in der Praxis ankommt. Das, was wir lernen, bleibt aber oft nicht lange im Gedächtnis. Das zeigt die Gedächtnisforschung deutlich: Um das Jahr 1885 herum soll Psychologe Dr. Hermann Ebbinghaus die berühmte Vergessenskurve (Synonym: „Ebbinghaussche Kurve“) entdeckt haben, die stetig nach unten geht. Die zentralen Aussagen des Forschers:

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  • 20 Minuten nach dem Lernen: Wenn wir etwas theoretisch lernen, etwa beim Lesen eines Textes, ruft unser Gehirn nach ca. 20 Minuten nur noch etwa 60 Prozent von dem ab, was wir zuvor gelernt haben.
  • 60 Minuten nach dem Lernen: Sobald eine Stunde vergeht, sollen wir lediglich auf etwa 45 Prozent des Gelernten zugreifen können.
  • 24 Stunden nach dem Lernen: Nach einem Tag haben wir nur noch 23 Prozent vom Gelernten im Gedächtnis – und dauerhaft schließlich 15 Prozent.

Tipps: Führungskräfteentwicklung braucht Zeit, Zuwendung und Praxis

Tynan weist darauf hin, dass sich „nichts ändert“ und dass die Leute „zurück an ihre Schreibtische gehen“, nachdem Unternehmen viel Geld für Workshops ausgegeben haben. Dabei ist vor allem die Förderung und Vorbereitung von Nachwuchstalenten besonders wichtig: Weil viele deutsche Arbeitnehmer unzufrieden sind, ist es essenziell, mehr in Sachen Führungskräfteentwicklung zu tun, um die richtigen Kompetenzen und Werte zu vermitteln. Wie muss gute Führungsentwicklung in der Praxis also aussehen?

Tipp #1: Kursarbeit sollte praktische Elemente und Übungen integrieren

Interaktive Elemente in Workshops, Videos und Kursen sind reiner Theorie zu bevorzugen. Es ist ähnlich wie bei der Führungsscheinprüfung: Würden Fahrschüler (Führungskräfte) nur lernen, wie sie fahren und welche Regeln sie beachten müssen, aber nicht, wie sich das Fahren und Lenken (eines Teams) wirklich anfühlt, steigt die Gefahr von Unfällen und Schäden. Die Eignung muss auch in der Praxis überprüft werden und darf deshalb nicht unterschätzt werden.

Zudem hilft es, das Gelernte im Arbeitsalltag zu üben. Wer sich in Sachen Kritikfähigkeit üben will, sollte die Möglichkeit bekommen, dies in einem geeigneten Rahmen im Job tun zu können. Regelmäßiger Austausch sowie Feedbackgespräche mit Kollegen und Vorgesetzten sollten nicht nur für die Arbeit und das Unternehmen, sondern auch für die persönliche Weiterentwicklung ein unterstützender Faktor sein.

Tipp #2: Zeit für Nachbereitung muss sein

Vor allem Nachwuchsführungskräfte sollten Gelegenheit bekommen, ein Training gemeinsam mit erfahrenen Führungskräften oder Buddies Revue passieren zu lassen, sich auszutauschen und auch Kritikpunkte zu äußern. Auch das ist Teil der Führungsentwicklung: Reflexion des Geschehenen und Selbstreflexion.

Sich hierfür Zeit zu nehmen, kostet Unternehmen ebenso Geld. Doch: Tynan betont, dass es egal sei, wie viel Geld schlussendlich für die Entwicklung kompetenter Führungskräfte fließe – es könnten, so die Expertin, auch nur 1 US-Dollar pro Führungskraft sein. Viel bedeutender sei, wie Trainingsprogramme entworfen werden. Denn sie sollten wirksam sein.

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Tipp #3: Jeder ist anders – individuelle Kompetenzen sollten gefördert werden

New Work bedeutet vor allem, sich Veränderungen anpassen zu können und Andersartigkeit zu akzeptieren. Trotz standardisierter Trainingsprogramme für Führungskräfte und Nachwuchstalente gibt es deshalb einen entscheidenden Faktor, der den Unterschied machen kann: die gezielte Kompetenzförderung.

Jeder bringt andere Stärken und Schwächen mit. Werden diese gezielt in den Fokus gerückt, können Mitarbeiter sich zu einer guten, fairen und starken Führungskraft entwickeln. Es hilft deshalb nicht nur, Personal blind in Trainings zu schicken, sondern Schwerpunkte gemeinsam herauszuarbeiten, Programme zu analysieren und neue Perspektiven einzunehmen, um keine Lernmöglichkeit unbeachtet zu lassen.

Tipp #4: Das Wohlbefinden der Mitarbeiter sollte in den Fokus rücken

Die Entwicklung und Förderung von Führungskräften bedeutet heute, das Wohl und die Zufriedenheit von Mitarbeitern im Fokus zu haben, während ein Team zugleich fachlich kompetent geführt wird. Um den Teufelskreis zu durchbrechen, der sich aus schlechter Führung, Kündigungen und hohen Fluktuationskosten zusammensetzt, ist es deshalb wichtig, keine Kosten und Mühen zu scheuen, die sich diesem wichtigen Teil der Führungskräfteentwicklung widmen.

Noch immer versuchen Unternehmen, an den falschen Enden Geld einzusparen und riskieren damit unzufriedene Mitarbeiter. Denn langfristig gesehen sind Investments, die in die Entwicklung starker Führungskräfte gehen, echte „Lebensretter“ für Unternehmen, die Mitarbeiter motivieren und binden wollen.

Man merke sich also: Alles beginnt an der Spitze. Tummeln sich dort schlechte Chefs, führt das zu unzufriedenen Mitarbeitern, schlechten Ergebnissen und Kündigungen.

Beförderung nur wegen Expertise: Ein überholtes Modell

Nicht nur die Führungskräfteentwicklung ist wichtig. Auch in Sachen Beförderung haben Unternehmen viel nachzuholen. Steigen Mitarbeiter aufgrund von „Vitamin B“ auf oder wird die Beförderung lediglich damit begründet, dass die fachliche Expertise stimmt, schießen Unternehmen ein Eigentor. Gerade, weil Personalmangel herrscht, sind , die auf Basis fehlender Soft Skills stattfinden, heute besonders teuer: Früher gingen Mitarbeiter und die Stelle wurde neu besetzt. Heute müssen Arbeitgeber alles dafür tun, die Mitarbeiterbindung zu stärken und jeden zu halten.

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Was gute Führungskräfte heute ausmacht:

  • Respektvoller Umgang: Auch wenn es hierarchische Ebenen gibt, ist ein wertschätzendes Miteinander heute unabdingbar für viele junge Nachwuchstalente und Arbeitnehmer. Ein respektvoller Umgang mit Mitarbeitern gehört deshalb nicht nur zum guten Ton. Es ist ein Pflichtelement guter Chefinnen und Chefs.
  • Vorbildfunktion: Gute Führungskräfte wissen um ihre Wirkung und setzten sie bewusst ein, um ein Vorbild für das Team zu sein. Sie missbrauchen ihre Machtposition nicht, sondern nutzen ihren Einfluss, um Mitarbeiter zu motivieren.
  • Effektive Kommunikation: Erwartungen mitteilen, konstruktives Feedback geben, empathisch zuhören – das alles gehört zu einer transparenten, ehrlichen Kommunikationsart.
  • Verantwortung übernehmen: Wenn Fehler oder Missgeschicke passieren, wird nicht die Schuld bei anderen gesucht, um von sich selbst abzulenken. Starke Führungskräfte schaffen es, einzulenken, Verantwortung zu übernehmen und zu lernen.

Bildnachweis: pixelfit/istockphoto.com