Die Theorie der „90 Day-Rule“ besagt: Wer mindestens drei Monate im Unternehmen bleibt, bindet sich auch später mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an den Arbeitgeber.

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Ob Job-Hopping oder der Luxus, bei Bedarf einfach den Arbeitsplatz wechseln zu können: Es entsteht immer mehr ein Arbeitnehmermarkt, von dem Beschäftigte profitieren. Arbeitgeber haben es deshalb momentan nicht einfach. Sie suchen wegen der Personalknappheit nach neuen Mitarbeitern und werden zugleich mit der hohen Wechselbereitschaft von Arbeitnehmern konfrontiert. Employer Branding ist in aller Munde – Maßnahmen, die helfen sollen, sich als Arbeitgebermarke zu etablieren und Bewerber anzulocken und zu binden.

Laut Wall Street Journal (WSJ) sollen Arbeitgeber hierbei vor allem auf einen speziellen Indikator setzen, der sich hinter der sogenannten „90 Day-Rule“ verbirgt: Wer es schafft, Arbeitnehmer für mindestens drei Monate – also insgesamt 90 Tage – im Unternehmen zu behalten, profitiert mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon, dass diese Mitarbeiter auch länger bleiben. Mindestens ein Jahr sollen Mitarbeiter, welche ihrem Arbeitgeber die ersten Monate „treu“ sind, als Arbeitnehmer erhalten bleiben.

Was hat es mit den 90 Tagen genau auf sich?

Ratschläge für Arbeitnehmer gibt es viele: Von einer „1-Jahr-Regel“ ist die Rede, wenn Beschäftigte mindestens 12 Monate in einem Unternehmen durchhalten sollen, um Professionalität, Engagement und Loyalität zu beweisen. Dass dieses ungeschriebene Gesetz für viele Arbeitnehmer heute Quatsch ist, – denn niemand sollte seine mentale Gesundheit riskieren und nur durchhalten, um etwas zu beweisen – ist längst klar.

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Ähnlich verhält es sich auch mit der 90-Tage-Regel für Arbeitgeber, denn sie ist kein festgeschriebenes Gesetz oder gar eine Garantie für eine bessere Mitarbeiterbindung. Aber: Laut WSJ sind Führungskräfte und HR-Fachkräfte davon überzeugt und machen die Erfahrung, dass Arbeitnehmer sich länger binden, wenn sie diese magische Marke von 90 Tagen geknackt haben. In brisanten Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, lohnt es sich durchaus, genauer hinzuschauen.

Wie diese 90 Tage sich erklären: Arbeitnehmer brauchen Zeit, um sich an Abläufe, an das Team und die Führungskräfte sowie an das Unternehmen zu gewöhnen. Drei Monate reichen üblicherweise aus, um diesen Eingewöhnungsprozess zu durchlaufen. Ist er überstanden, steigt die Wahrscheinlichkeit der Theorie nach, am Job festzuhalten. Im Umkehrschluss bedeutet es, dass Arbeitgeber in Bezug auf die Mitarbeiter, welche diese 90 Tage „ausgehalten“ haben, aufatmen können. Ein wichtiger Schritt zu Mitarbeiterbindung konnte erfolgreich umgesetzt werden.

Mitarbeiterbindung stärken: Das Onboarding entscheidet

Gehen wir nach der 90-Tage-Regel, ist es für Unternehmen umso entscheidender, ein starkes Onboarding zu gewährleisten und sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, welche die Arbeitgebermarke stärken. So kann die Stärkung der Mitarbeiterbindung aussehen, um Angestellte für mindestens 90 Tage und dann darüber hinaus zu behalten:

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1. Finanzielle Anreize für Mitarbeiter schaffen

Geld spricht eine eigene Sprache, gerade in finanziell schwierigen Zeiten, in denen die Kosten inflationsbedingt in die Höhe schießen.

Wer mindestens drei Monate bleibt, erhält im Anschluss eine Prämienzahlung in Höhe von 1.500 Euro.“ So könnte ein finanzieller Anreiz aussehen, um neue Arbeitnehmer davon zu überzeugen, die ersten 90 Tage durchzuhalten, um die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dass diese auch noch länger bleiben.

Obwohl finanzielle Motivation helfen kann, sollten Arbeitgeber diesen extrinsischen Reiz aber nicht überschätzen. Stimmt das Geld, aber ist das Arbeitsklima dafür zum Davonlaufen, wird kein neuer Arbeitnehmer lange bleiben. Geldlockangebote sind deshalb lediglich ein Teil des großen Ganzen, um die Mitarbeiterbindung zu fördern.

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2. Buddy-Programme während des Onboardings einführen

Schwitzige Hände, nervöses Lachen, Konzentrationsprobleme: Wer neu in einem Unternehmen ist, fühlt sich zumeist etwas unwohl, wenn nicht sofort klar ist, was auf einen zukommt. Ein Buddy-Programm, welches Teil des Onboardings sein kann, schafft Abhilfe, damit neue Mitarbeiter bei den ersten Ungereimtheiten nicht sofort abbrechen und flüchten – vor allem nicht schon in den ersten 90 Tagen.

Ein persönlicher Buddy oder Pate, zumeist ein erfahrener oder bereits länger beschäftigter Mitarbeiter, fungiert als der wichtigste Ansprechpartner für neue Angestellte. Vor allem in Zeiten, in denen wir unsere neuen Kollegen manchmal nicht sofort kennenlernen, weil diese remote arbeiten, ist es wichtig, diese Art von Sicherheit zu bekommen und sich so besser an Abläufe und unternehmenstypische Sachen sowie an das Team zu gewöhnen.

Kurz: Neue Mitarbeiter brauchen zuverlässige Ansprechpartner, um sich nicht verloren zu fühlen. Können Arbeitgeber diesen Vorteil bieten, punkten sie.

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3. Vertrauen und Nähe zu Führungskräften ermöglichen

Es gibt viele Arbeitnehmer, die ihren Arbeitgeber verlassen, weil sie eine schlechte Beziehung oder gar keine Beziehung zum Chef haben. Wer einem Entscheidungsträger nicht vertrauen kann, hat verständlicherweise einen guten Grund, um sich andere Möglichkeiten zu suchen. Deshalb sollten Führungskräfte für neue Mitarbeiter greifbar bleiben – auch nach der ersten Begrüßung und der Einarbeitungsphase. Sind die Möglichkeit während der regulären Arbeitszeit begrenzt, hilft es, wenn Unternehmen bewusst Räume, Zeiten und Möglichkeiten schaffen, die dazu verhelfen, dass Mitarbeiter eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Chef aufbauen.

Führungskräfte sind selbst gefragt. Was wichtig ist:

  • ein wertschätzendes Miteinander zeigen und Empathie
  • keine Machtspielchen
  • Feedback konstruktiv verpacken
  • Grenzen der Mitarbeiter respektieren
  • auf die Bedürfnisse von Arbeitnehmern eingehen

4. „Versprechungen“ schon in den ersten 90 Tagen einlösen

Ist in der Stellenbeschreibung und im Jobinterview die Rede von flexiblen Arbeitszeiten, Mitarbeiterbenefits und flachen Hierarchien, müssen Unternehmen diese Versprechungen bereits zu Beginn unter Beweis stellen. Denn heute sind es auch Arbeitnehmer, die ihren Arbeitgebern eine Probezeit geben. Wer durchfällt, falsche Versprechungen macht oder sich nicht an Abmachungen hält, muss damit rechnen, dass Arbeitnehmer in den ersten 90 Tagen und auch danach schnell das Weite suchen.

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Ergo: Unternehmen müssen ehrlich bleiben, um bei Mitarbeitern landen zu können. Noch nie war Transparenz so gefragt wie heute.

5. Leistungs- und Erwartungsdruck reduzieren

Last but not least: Es gilt, alle starken Stressoren zu identifizieren und es neuen Mitarbeitern so einfach wie möglich zu machen, sich als Arbeitnehmer als Teil des Teams zu fühlen. Zu hohe Erwartungen und falscher Leistungsdruck sowie eine ungesunde Fehlerkultur wirken sich kontraproduktiv aus. Je mehr Sicherheit neue Mitarbeiter spüren und erlangen, umso entspannter können sie ihren Job erledigen – und das braucht Zeit, die jeder gute Arbeitgeber mitbringt.

Tipps für Arbeitgeber:

  • Fehler nicht wütend tadeln, sondern unterstützend agieren
  • Erwartungen klar, deutlich und sachlich-professionell kommunizieren, um Missverständnisse zu verhindern
  • Geduld beweisen, um eine Entwicklung von Routine zu ermöglichen
  • Hilfestellungen anbieten
  • Fragen beantworten, auch wenn sie banal erscheinen – sie könnten für Neue wichtig sein

Schon gewusst? Die 90-Tage-Regel im Privatleben

Eine 90-Tage-Regel gibt es nicht nur im Job, sondern häufig auch in unseren privaten Beziehungen: Ob Freundschaft oder Liebe, in der Verhaltenspsychologie wird die erste Phase als besonders prägend erachtet. Die ersten Tage und Wochen sollen darüber entscheiden, ob wir nach der ersten Verliebtheit eine tiefere Verbindung eingehen wolle. Oder lieber Abstand nehmen, weil wir nicht kompatibel sind oder desillusioniert werden.

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Auch im Job erleben wir Gefühle wie Euphorie, Nervosität, Niedergeschlagenheit oder Wut – ähnlich wie in der Liebe. Wollen wir einem Unternehmen treu bleiben und uns langfristig binden, ist es also nicht nur eine logische Entscheidung des Verstandes – auch das Herz und unser Wohlbefinden sind wichtig, um zu sagen: „Ja – ich will!“

Bildnachweis: alvarez/istockphoto.com