Bei der Einstellung lockt ein attraktives Einstiegsgehalt. Der Chef scheint nett zu sein. Das Klima stimmt. Alles perfekt? Bei näherem Hinschauen stellt sich dieses Idealbild in der Realität häufig als Trugbild heraus. Sogar Top-Mitarbeiter, die eine wichtige Position im Unternehmen einnehmen, wenden sich manchmal ab – auch wenn die Entscheidung, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen, nicht leichtfertig getroffen wird und manchmal als schleichender Prozess kommt.
Selbst die (auf den ersten Blick) perfekten Unternehmenskulturen bergen einige Gefahren für Mitarbeiter, wenn es sich um mehr Schein als Sein handelt. Während einige Faktoren sichtbar sind, dazu zählen beispielsweise Strategien oder Rituale, bleiben andere Faktoren im Verborgenen. Dazu gehören unausgesprochene Gesetze, die gelebt werden.
Basis für die Entwicklung der Kultur sind vor allem die gelebten und angestrebten, aber auch die nicht erreichbaren Werte. Um Veränderung zu erreichen, gilt aber vor allem, die „unsichtbaren Muster“ sichtbar zu machen, damit Top-Mitarbeiter bleiben.
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Mehr Informationen1. Accidental Values: Zufallswerte mit negativer Dynamik
Sogenannte Zufallswerte (Accidental Values), die in aller Regel ohne bewusste Absicht entwickelt werden, können schnell eine negative Eigendynamik annehmen. Manchmal sind sie, abhängig von dem, was im Team passiert, kaum aufzuhalten oder nur schwer beeinflussbar, etwa von Führungskräften. So entwickelt sich eine Kultur, die in der Außendarstellung erstrebenswert erscheint, im Inneren aber für Probleme sorgt.
Hierbei kann es sich zum Beispiel um den Umgang mit Mehrarbeit handeln: Wenn Mitarbeiter regelmäßig die Höchstarbeitszeit überschreiten und pünktlich Feierabend zu machen negativ bewertet wird, droht die Überarbeitung. Mehrarbeit wird dann unerwünschterweise zu einem wichtigen, unbeabsichtigten Wert, der gelebt wird. Vor allem Top-Mitarbeiter, die für Höchstleistungen bekannt sind, stehen dann schnell unter Druck, dem sie sich schließlich beugen. Überhöhte Erwartungen, die an Zufallswerte geknüpft sind und sich negativ auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit dieser auswirken, werden Mitarbeiter abschrecken.
2. Core Values: Kernwerte widersprechen den Handlungen
Ausschlaggebend für eine starke Unternehmenskultur ist das Zusammenspiel vom übergeordneten Wertesystem mit den gelebten Werten im Betrieb. Was als Grundwert formuliert wird, muss deshalb auch in der gelebten Praxis mit den Handlungen übereinstimmen. Die Grundwerte („Core Values“) bilden das Kernstück einer jeder Kultur und stehen für den Ist-Zustand. Kann keine Kompatibilität zwischen dem, was formuliert und gelebt wird, festgestellt werden, ist es häufig eine Frage der Zeit, bis Mitarbeiter den Ist-Zustand hinterfragen und sich gegebenenfalls vom Arbeitgeber distanzieren, bevor sie die Firma schließlich verlassen.
3. Systematisches Ködern: Kurzfristige Aufrechterhaltung von Werten
Top-Mitarbeiter sind bei Arbeitgebern heißbegehrt. Sie zeichnen sich durch eine überdurchschnittliche Performance aus, sind in einigen Branchen mit Fachkräftedefizit Mangelware und Unternehmen wollen sie um jeden Preis langfristig binden.
Eine Möglichkeit, um solche Arbeitnehmer zumindest schon einmal ins eigene Boot zu bekommen, ist das systematische Ködern mit der Hilfe von nach außen präsentierten Werten und Prinzipien, die eigentlich keine sind. Der entscheidende Punkt ist, dass Mitarbeiter zunächst tatsächlich bekommen, was versprochen wird. Doch die vermeintlichen Werte dienen lediglich als kurzfristiges Lockmittel. Am Anfang kann ein attraktives Gehalt zum Beispiel auf die Bereitschaft von Unternehmen hinweisen, in gute Mitarbeiter zu investieren. Sie scheinen zunächst wenig knauserig zu sein und den Marktwert zu kennen.
Aber auch hier gilt: Sobald die perfekte Fassade bröckelt und deutlich wird, dass das Fundament nicht stark genug ist, werden selbst die besten Mitarbeiter nach und nach gehen. Ein anfängliches Lockangebot ist nicht ausreichend, um sie langfristig zu halten.
4. Werte stimmen nicht mit der individuellen Auslegung überein
Arbeitgeber und ihre Mitarbeiter haben mitunter eine unterschiedliche Auffassung von den formulierten und gelebten Unternehmenswerten, die die Basis für die Kultur eines Unternehmens bilden. Die Realität und Wahrnehmung von Arbeitnehmern darf nicht ignoriert werden, denn sie sind es, die tagtäglich im Job mit den Auswirkungen von Widersprüchen zu kämpfen haben.
Was bedeutet zum Beispiel „Work-Life-Balance“ konkret? Während der Chef einer Firma Incentives wie Gutscheine als ausreichend erachtet, um Mitarbeiter zu entlasten, wünscht sich der eine oder andere Mitarbeiter vielleicht bessere Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder oder etwa eine Erholungsbeihilfe, um zu einer guten Work-Life-Balance zu gelangen.
Im Grundsatz geht es um ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Bedürfnissen privater Natur und den Jobanforderungen, die Arbeitgeber an ihre Mitarbeiter stellen oder die ein Beruf mit sich bringt. Darüber muss kommuniziert werden und es müssen Kompromisse gefunden werden, die den Bedürfnissen von Mitarbeitern einer Firma entsprechen – denn andernfalls droht die innere Kündigung und somit auch ein Arbeitgeberwechsel von Top-Mitarbeitern.
5. „Nur“ zu 90 Prozent zufrieden mit den Unternehmenswerten
Einen perfekten Arbeitgeber mit perfekt gelebten Werten gibt es nicht. Doch 90 Prozent Zufriedenheit mit den gelebten Unternehmenswerten reichen oft schon aus, um sich als Mitarbeiter gut aufgehoben zu fühlen. Für Top-Mitarbeiter sind jedoch die fehlenden 10 Prozent manchmal der alles entscheidende Grund, um sich nach alternativen Möglichkeiten umzuschauen.
So können die Bezahlung fair, die Benefits super und das Klima top sein. Mangelt es aber zum Beispiel an Aufstiegschancen, sind es gerade Top-Mitarbeiter, die einen Stillstand erleiden. Denn gerade die leistungsstarken Arbeitnehmer sind bewusst auf der Suche nach Chancen, um karrieretechnisch vom Fleck zu kommen. Wenn die Möglichkeiten fehlen, wechseln sie nicht unbedingt, weil der Chef ätzend ist oder die Arbeitszeiten nicht passen. Sie gehen, um aufsteigen zu können.
Generell sind Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter heute besonders wichtig, um Arbeitnehmer von einer Arbeitgebermarke auch langfristig zu überzeugen. Wenn sie fehlen, steigt die Wechselbereitschaft.
6. Dysfunktionale Feedback-Kultur als Teil einer scheinbar perfekten Unternehmenskultur
Eine weitere Lücke, die selbst bei hervorragenden Unternehmenskulturen zu beobachten ist, die sich beispielsweise durch familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, einer super Vergütung und unterhaltsamen Team-Events auszeichnen, ist die Art der Kommunikation. Speziell die Feedback-Kultur steht hier im Fokus.
Problematisch ist eine Feedback-Kultur, die auf Basis von starren hierarchischen Ebenen gelebt wird. Rückmeldungen auf Augenhöhe sind in solchen Fällen ein seltener Fall. Für gute Mitarbeiter kann eine solche Kulturlücke zu einem echten Problem werden: Sie sind auf sachliches, konstruktives Feedback ohne Machtspiele angewiesen, um sich in ihrer Arbeit nicht eingeschränkt oder gar ungesehen zu fühlen.
Lese-Tipp: Im Schatten der Hierarchie: Wie du dein Potenzial zur Geltung bringst
Gleiches gilt für andere Mitarbeiter. Denn unabhängig von dem, was sie leisten, ist eine gute Feedback-Kultur wertschätzend, nachvollziehbar und fachlich sowie persönlich hilfreich, indem sie unterstützend und nicht abwertend wirkt.
7. Führungskräfte im Fokus: Authentizität und offene Kommunikation als Grundlage
Führungskräfte nehmen eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung und Aufrechterhaltung einer authentischen Unternehmenskultur ein. Sie sind es, die die gelebten Werte des Unternehmens vorleben und maßgeblich beeinflussen, ob diese auch von der Belegschaft angenommen werden. Scheitern sie daran, eine Kultur der Offenheit und Transparenz zu fördern, kann sich der vermeintliche „gute Ruf“ des Unternehmens schnell als Fassade entpuppen.
Ein häufiges Problem dabei: Die fehlende oder unzureichende Kommunikation über langfristige Ziele und strategische Entscheidungen. Wenn Mitarbeiter im Unklaren darüber gelassen werden, wohin das Unternehmen steuert und warum bestimmte Entscheidungen getroffen werden, entsteht eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Insbesondere leistungsstarke Mitarbeiter, die das Unternehmen auch strategisch mitgestalten wollen, spüren diese Ungewissheit besonders stark und beginnen, die Unternehmenskultur kritisch zu hinterfragen.
Auch Führungskräfte selbst stehen unter Druck, den schönen Schein nach außen zu wahren. Dabei wissen sie meist sehr wohl um interne Missstände und Herausforderungen, vermeiden es aber, diese offen anzusprechen. Das Resultat ist eine Kultur des Schweigens, die langfristig zu einem schleichenden Vertrauensverlust führen kann – ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist, wenn nicht von ganz oben eine offene Fehlerkultur vorgelebt wird.
Was es braucht, ist der Mut der Führungsebene, Probleme transparent und ohne Angst vor Gesichtsverlust zu thematisieren. Authentizität und klare Kommunikation sind dabei Schlüsselfaktoren, um Vertrauen zu schaffen und eine echte Unternehmenskultur zu etablieren. Denn nur wenn Mitarbeiter spüren, dass ihre Führungskräfte zu ihren Worten stehen und auch in schwierigen Zeiten den Dialog suchen, entsteht eine Basis, auf der Top-Talente langfristig gehalten werden können.
Eine Unternehmenskultur, die auf Authentizität und Offenheit beruht, ist mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis – sie ist der Schlüssel zur langfristigen Bindung von Leistungsträgern und zur nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens.
8. Fehlende psychologische Sicherheit – der unsichtbare Kulturkiller
Selbst in scheinbar offenen und wertorientierten Unternehmen fehlt oftmals die psychologische Sicherheit. Der Begriff, geprägt von der Harvard-Professorin Amy Edmondson, beschreibt ein Arbeitsumfeld, in dem Mitarbeiter offen sprechen, Ideen teilen, Risiken eingehen, Fehler machen und zugeben können – ohne Angst vor irgendwelchen Konsequenzen.
In Unternehmen mit perfekter Außendarstellung, modernen Onboarding-Prozessen und wohlklingenden Leitbildern bleibt oft genau das auf der Strecke. Die Fassade stimmt, aber im Alltag vermeiden Mitarbeitende, kritische Fragen zu stellen oder unbequeme Sachverhalte anzusprechen. Warum? Weil sie sich nicht sicher fühlen – weder sozial noch emotional. Und wer sich nicht sicher fühlt, spielt mit, hält sich zurück oder kündigt innerlich. Gerade Top-Mitarbeiter, die viel zu verlieren haben, tun das manchmal besonders still.
Dabei ist gerade die psychologische Sicherheit der Boden, auf dem Innovationsfähigkeit, Engagement und Lernkultur gedeihen.
Was Top-Mitarbeiter hält, ist eine echte Wertekultur
Das Aufschreiben und Präsentieren von Unternehmenswerten macht noch keine Unternehmenskultur aus. Die Umsetzung von Werten und die Realität in Firmen ist entscheidend. Dabei entwickelt sich eine Unternehmenskultur auf Basis der Normen und Werte, die tatsächlich gelebt werden.
Dynamiken, die nicht ganz unproblematisch sind, befinden sich aber oft lange Zeit im Verborgenen, bis sie thematisiert werden. Und das wissen Top-Mitarbeiter, denn sie spüren, wie sich die Kultur eines Unternehmens auf ihre Arbeit, ihre Bedürfnisse und ihr persönliches Wachstum auswirkt. Wenn sie gehen, dann mit der Überzeugung, dass selbst perfekte Unternehmenskulturen manchmal ein wackeliges Fundament haben.
Hast du schon einmal erlebt, dass ein vermeintlich „perfektes“ Unternehmen nicht gehalten hat, was es versprach?