Seit Corona entscheiden sich Arbeitgeber vermehrt für moderne Überwachungstools für die Mitarbeiterkontrolle. Was erlaubt ist und warum eine „Schnüffelsoftware“ die Produktivität senken kann.

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Keine Pausen machen und stattdessen in Flaschen urinieren, damit bloß keine Leerlaufzeiten erfasst werden: Bereits im Jahr 2018 veröffentlichte die britische Zeitung „The Sun“ einen Bericht, in dem Investigativjournalist James Bloodworth zitiert wird, welcher von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in einem Lager des Onlineriesen Amazon erzählt. Die Mitarbeiter stünden unter ständiger Überwachung und würden auf diese Weise strengstens vom Arbeitgeber kontrolliert werden.

Zwar streitet Amazon die Vorwürfe schlechter Arbeitsbedingungen immer wieder ab. Dass moderne Kontrollsysteme jedoch existieren und auch in anderen Unternehmen zunehmend zum Einsatz kommen, ist kaum zu leugnen. So ist zumindest die Lage in den USA.

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Rechtslage in Deutschland

Die gute Nachricht: In Deutschland greifen bisher strengere Gesetze, welche die Rechte von Angestellten schützen. Sofern kein konkreter Verdacht vorliegt, dass Arbeitnehmer sich zum Beispiel strafbar machen, darf ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht heimlich filmen oder aufnehmen. Falls eine Videoüberwachung erfolgen soll, muss der Betriebsrat laut § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zustimmen.

Wenn im Homeoffice gearbeitet wird, ist es Arbeitgebern erlaubt, eine Ortung des Diensthandys vorzunehmen – aber nur, wenn wichtige Gründe vorliegen und Mitarbeiter außerdem aufgeklärt werden. Das kann zum Beispiel notwendig werden, wenn der Einsatz von Arbeitskräften koordiniert werden muss.

Außerdem dürfen Arbeitgeber dienstliche E-Mails und arbeitsbedingte Seitenaufrufe im Internet kontrollieren. Was sie aber nicht dürfen, ist das heimliche Aufnehmen von Telefonaten, das Nachverfolgen von privaten E-Mails oder auch das Ausspähen der privaten Internetnutzung. Ausnahme: Es liegt ein Verdacht auf eine Straftat vor.

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Moderne Überwachung wird immer einfacher

Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen berechtigtes Interesse daran haben, zu erfahren, ob Regeln eingehalten werden und Mitarbeiter ihren Job erledigen. Die Art und Weise, die Belegschaft zu überwachen, wird jedoch immer kritischer.

Social Distancing hat die Türen für die Arbeit im Homeoffice geöffnet. Zugleich steigt die Kontrolle von Mitarbeitern an. Denn technische Überwachungstools machen dies für Arbeitgeber möglich. So zum Beispiel mit der Hilfe von Microsoft: Das Unternehmen verspricht mit seinen Programmen, einen sogenannten „Productivity Score“ (PS) zu berechnen. Jared Spataro (Corporate VP Microsoft 365) bewirbt den PS damit, dass Unternehmen so ihre digitale Transformation vorantreiben könnten.

Und doch wird betont, dass die Berechnung des PS keinesfalls der Überwachung von Arbeit dienen solle. Wer jedoch Administrator ist, bekommt tiefe Einblicke in die Aktivität einzelner Mitarbeiter, was sie zu gläsernen Angestellten macht. Zwar wird lediglich ein für das gesamte Unternehmen betreffender Produktivitätswert berechnet. Dieser aber basiert auf individuell erfassten Daten der Teilnehmer. Die Verwendung von Programmen (OneNote, Outlook, Excel, Teams etc.) kann konkret nachvollzogen werden, weil permanent Nutzungsdaten gesammelt werden.

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So oder so: Moderne Kontrollsysteme sind umstritten. Einerseits unterstützen sie Unternehmen dabei, nützliche Daten zu sammeln und sie in Bezug auf die Unternehmensentwicklung zu analysieren. Das hilft beim Optimieren von Prozessen im Arbeitsalltag. Andererseits kann nicht zu 100 Prozent sichergestellt werden, dass die Privatsphäre von Angestellten ausreichend geschützt wird.

Warum Kontrolle kontraproduktiv sein kann

Privatsphäre, Kontrolle und Überwachung spielen seit der Pandemie eine noch größere Rolle. Wer sich seit Corona im Homeoffice befindet, kennt das Gefühl: Der Druck vom Arbeitgeber, ständig erreichbar zu sein und vermehrt an virtuellen Meetings teilzunehmen, führt nicht selten dazu, sich überwacht und kontrolliert zu fühlen. Auch wenn der Boss nicht physisch in den eigenen vier Wänden anwesend ist, verschwimmen die Grenzen zwischen Privatem und dem Beruf vermehrt.

Es liegt nahe, dass Arbeitgeber durch ständige Anrufe, E-Mails und Nachrichten sicherstellen wollen, die Arbeitenden „im Blick“ zu behalten, wenn sie diese nicht im Büro vor sich haben können. Die Krux: Kontrolle kann nicht mit der Sicherstellung von Produktivität gleichgesetzt werden. „Beschäftigt“ bedeutet nicht produktiv.

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Ein Beispiel: Wer vor Ort am Bürotisch sitzt und beschäftigt ist, arbeitet nicht zwangsläufig und scrollt stattdessen vielleicht durch Social Media oder starrt ein weißes Blatt Papier an, ohne eine Idee für ein neues Konzept zu haben. Und wer Pause macht und sich zu Hause ein längeres Nickerchen auf dem Sofa gönnt, außerhalb des Blickfelds des Chefs, war vielleicht schon besonders früh wach und hat alle Aufgaben sorgfältig erledigt.

Es ist so, dass Beschäftigte, die sich dem ständigen Druck der Überwachung ausgeliefert fühlen, wahrscheinlich schneller ausbrennen, weil sie sich nicht die so dringend notwendigen Auszeiten und Erholungspausen gönnen. Für Aufmerksamkeit und Entscheidungen ist unser präfrontaler Kortex zuständig. Fehlende Entspannung und ein permanent angespanntes Gefühl – beides führt dazu, dass unser Hirn leidet. Das kann die Produktivität senken, denn pausenloses Arbeiten nimmt Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit.

Wertschätzende Kontrolle und Vertrauenskultur schaffen Abhilfe

Wer Kontrollsysteme einsetzen möchte, sollte die geltenden Gesetze beachten. Daneben ist es jedoch wichtig, herauszufinden, weshalb Kontrollen stattfinden sollen und ob sie der Produktivitätssteigerung dienen oder den Erfolg sogar verhindern. Soll das eigene Kontrollbedürfnis befriedigt werden?

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Tipp: Anonymisierte Daten können durchaus hilfreich sein, um sich ein Bild von den Arbeitsprozessen des Teams zu machen. Der Fokus sollte deshalb nicht auf Kontrolle und Überwachung einzelner Mitarbeiter liegen, sondern ein Gesamtbild schaffen, um zu veranschaulichen, wo es Probleme und Optimierungsbedarf gibt. Die Teilnahme an Bewertungsprogrammen sollte zudem freiwillig sein, was voraussetzt, dass Angestellte umfassend informiert werden.

Kontrollen sind nicht immer schlecht – aber es kommt auf die Art an, wie sie umgesetzt werden. Was helfen kann, ist wertschätzende Kontrolle und die Etablierung einer gesunden Vertrauenskultur. Konkrete Kommunikationstipps:

#1: Über Arbeitsergebnisse sprechen:

Wie weit sind Mitarbeiter gekommen? Wo gab es Probleme? Was lief gut? Anstatt Prozesse heimlich oder unauffällig zu kontrollieren, lohnt es sich, konkret auf Arbeitsergebnisse und den aktuellen Stand einzugehen. Denn: Am Ende kommt es nicht darauf an, ob Mitarbeiter tatsächlich sieben Stunden am Computer und damit ihre vorgeschriebene Arbeitszeit abgesessen haben. Sondern darauf, ob besprochene Ziele tatsächlich erreicht werden konnten.

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#2: Nicht jeden Arbeitsschritt überwachen:

Strenge Regularien führen dazu, dass Arbeitnehmer mehr Konflikte mit ihrem Chef haben. Das ergab eine IW-Studie mit dem Titel „Vertrauenskultur als Wettbewerbsvorteil in digitalen Zeiten“.

Wichtig ist deshalb, nicht jeden Arbeitsschritt zu kontrollieren, sondern dem Team zu vertrauen – und auch dem eigenen Kontrollbedürfnis Einhalt zu gebieten. Es gilt, eine gute Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen zu finden.

#3: Kontrolle transparent machen, weniger Geheimniskrämerei:

Wenn Beschäftigte wissen, welche Daten kontrolliert werden und wie eine Analyse der Mitarbeiterproduktivität stattfindet, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. So wissen sie, dass es nicht um die Befriedigung eines Kontrollbedürfnisses geht. Sondern darum, Hindernisse, welche Auswirkungen auf die Produktivität haben, zu beseitigen, Verbesserungen vorzunehmen und so den Unternehmenserfolg gemeinsam zu sichern – Schritt für Schritt. Schließlich geht es am Ende um eine kollektive Problemlösung.

#4: Lob aussprechen:

Das, was Mitarbeiter gut meistern konnten, sollte mit Wertschätzung behandelt werden. Es ist wichtig, Anerkennung auszusprechen, anstatt sich auf das Negative zu fokussieren. Das schafft Vertrauen und eine entspannte Arbeitsatmosphäre, ganz frei von toxischer Kontrolle.

Bildnachweis: stockce/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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