Muss ich auf Karriere verzichten, um die perfekte Mutter zu sein? Die unrealistische Glorifizierung der Mutterschaft zeichnet ein falsches Bild.

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Die Emanzipation von Frauen schreitet voran. Nicht jede möchte einmal Kinder oder verzichtet auf den Nachwuchs, um beruflich erfolgreich sein zu können. Dennoch ist das Bild der unabhängigen Frau noch nicht ganz in der Gesellschaft angekommen – denn ihnen werden klassische Rollenbilder, die in den Köpfen der Menschen und auch in ihren eigenen einst vorherrschten, immer noch zum Verhängnis. Auch wenn wir überall von modernen Arbeitgebern und weiblichen Bossen an der Spitze lesen:

Der Lebensentwurf der modernen Frau wird oft noch immer belächelt.

Schon früh lernen Frauen, was ihre Aufgaben sind: eine gute Tochter, Ehegattin und Mutter sein. Die Mutterschaft liegt im Fokus. Und ja, dieses Erziehungsmodell gibt es heute noch. Da sind zum Beispiel Influencer-Mamis: Überall in den sozialen Medien sind sie zu sehen. Sie schmeißen den Haushalt, präsentieren stolz ihre Inneneinrichtung und lächeln in die Kamera, während sie erzählen, dass der Nachwuchs nun nach einem turbulenten Tag schläft.

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Die Frage: Ist das Bild dieser perfekten Mütter echt – oder versuchen sie lediglich den gesellschaftlichen Erwartungen, dem Bild der „Supermama“, gerecht zu werden, die alles im Griff hat, heute auch Geld verdient und ganz nebenbei lächelnd den Haushalt schmeißt? Dürfen Frauen Karriere machen, ohne dabei selbst den Anspruch zu haben, die perfekte Mama sein zu wollen? Müssen sie überhaupt Mama werden?

Frauen wollen Karriere machen

Im Rahmen der Brigitte-Studie „Mein Leben, mein Job und ich“ hat das Markt- und Sozialforschungsunternehmen Ipsos Frauen sowie Männer befragt. Schon 2017 haben demnach 48 Prozent der befragten Frauen Karriere als wichtig empfunden. Die Ergebnisse unterscheiden sich kaum von den Antworten der Männer: 53 Prozent gaben an, dass der Karriereaufstieg wichtig für sie sei.

Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) sank die Geburtenrate 2022 im Vergleich zum Jahr 2021 um etwa acht Prozent, was laut Destatis-Referentin Olga Pötzsch aber vorrangig mit der Unsicherheit für junge Familien während der Pandemie zusammenhängen könnte. Besonders hart hat es junge und alleinerziehende Mütter getroffen, die während Krisenzeiten auf sich gestellt sind und den Nachwuchs alleine versorgen müssen. Auch in solchen Fällen ist der Frust junger Mütter verständlich – und die Entscheidung derer, die sich aufgrund der strukturellen Probleme gegen den Nachwuchs entscheiden.

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Was deutlich wird: Immer mehr Frauen wollen Karriere machen und es ist kein Geheimnis, dass dieser Weg für Frauen ohne Kinder häufig einfacher ist, weil sie ihre Lebensentwürfe auf Basis ihrer Unabhängigkeit entwerfen.

Der „Mama-Mythos“ wird den Frauen zum Verhängnis

Fakt ist doch eigentlich: Keine Frau muss die perfekte Mutter sein – oder überhaupt Mutter sein, wenn sie sich bewusst gegen die Mutterschaft entscheidet. Wer freiwillig kinderlos bleibt, ist kein schlechter Mensch, aber in den Köpfen vieler Menschen ist dies dennoch eine krude, verkehrte Vorstellung. Entscheiden sie sich doch für die Mutterschaft – und jeder, der Kinder hat, weiß, dass es eine Mammutaufgabe sein kann – und äußern nun, wie anstrengend, anspruchsvoll und nervenaufreibend diese Rolle sein kann und sie sich am liebsten anders entschieden hätten, sind sie „Rabenmütter“.

Warum? Ganz einfach: Es existiert das sogenannte „Mama-Mythos“, welches sich der echten Emanzipation der Frau, die mit oder ohne Kinder Karriere machen will, entgegenstellt.

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„Mama-Mythos“: So beschreibt Professorin und Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm die Ursache dafür, dass die Machtfrage zwischen Männern und Frauen bis heute, in vergleichsweise emanzipierten Zeiten, nicht geklärt werden kann. Es geht um ein unrealistisches Mutterideal, dem sich die Gesellschaft seit jeher verpflichtet hat. Auch in modernen Zeiten spüren wir ihn: den Druck, dem Frauen unterliegen. Mutterschaft wird als Heiligtum glorifiziert. Wer sich bewusst und zu Gunsten der Karriere gegen Kinder entscheidet, wird heute zwar akzeptiert – aber immer noch subtil und von oben herab angegangen: „Wie – die will keine Kinder?“

Motherhood Lifetime Penalty: Finanzielle Kluft zwischen Müttern und kinderlosen Frauen

Dass es moderne Arbeitsmodelle gibt, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern sollen, ist unbestreitbar. Mutter zu sein und einen Beruf auszuüben, das ist möglich. Ein Grund, weshalb sich Frauen jedoch gegen ein Kind und „nur“ für eine Karriere entscheiden, ist manchmal der finanzielle Aspekt. Abgesehen davon, dass Eltern ihrem Nachwuchs Sicherheit bieten wollen und sie gut versorgen möchten, sind die Lebenshaltungskosten mit Kindern höher. Für Mütter ist das ein teures Unterfangen: Die sogenannte „Motherhood Lifetime Penalty“ beschreibt die lebenslangen Einkommensbußen von Frauen mit Kindern – im Vergleich zu Frauen ohne Kinder. Laut Bertelsmann Stiftung liegt die Einbuße bei 40 Prozent (Stand 2020). Wer drei oder mehr Kinder hat, muss sogar mit einer Einbuße von bis zu 70 Prozent rechnen.

Die Motherhood Lifetime Penalty zeigt nicht nur, warum es verständlich ist, dass Frauen sich gegen Kinder entscheiden und lieber auf Karriere setzen. Sondern auch, dass noch immer strukturelle Ungleichheit in Bezug auf die Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt vorherrscht. Frauen müssen Abstriche machen und Frauen mit Kindern noch viel größere.

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Politisch brisant – und auch Väter spielen eine Rolle

Ob Frauen sich gegen Kinder entscheiden, weil sie lieber Karriere machen wollen oder sich unabhängig vom Einkommen des Mannes fühlen wollen: Beides ist berechtigt. Dennoch gibt es auch die Frauen, die aufgrund der strukturellen Herausforderungen auf ein Kind verzichten – obwohl sie es sich grundsätzlich vorstellen können, Mama zu werden.

Sache der Politik ist es, Strukturen zu schaffen, in denen Kinder kein Karrierehemmnis für Frauen darstellen. Ein kostenfreies, aber auch flächendeckendes Betreuungssystem für Familien mit Kindern würde Abhilfe schaffen. Die Benachteiligung von (jungen) Frauen (im gebärfähigen Alter), die in die Chefetage eintreten wollen, ist ebenfalls ein Problem: Die Tatsache, dass Kinder geplant sind, sollte kein Hindernis sein, eine hohe Position einzunehmen.

Familienfreundliche Strukturen täten auch den Vätern gut – denn: Auch sie haben mit Stigmatisierung zu kämpfen. Zwar ermöglicht New Work, zumindest theoretisch, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dennoch ist es noch kein „normales“ Bild, dass Väter bei ihrem Nachwuchs bleiben, während Frauen einen weiteren Karriereschritt gehen. Auch hier sind wir beim Mama-Mythos: Väter sind eben nicht die heiligen Mütter, denn sie können, wenn wir zumindest nach veralteten Rollenbildern gehen, die perfekte Mutter nicht ersetzen.

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Aber: Ist es nicht viel wichtiger, dass Kinder generell gut behütet aufwachsen – unabhängig davon, ob Mama oder Papa da ist? Gehen wir von früheren psychoanalytischen Forschungen aus, spielt vor allem die Mutter-Kind-Bindung eine entscheidende Rolle bei der späteren Entwicklung des Kindes. Kindererziehung ist heute aber längst nicht nur mehr „Frauensache“: Männer werden zwar immer noch in die Versorgerrolle gedrängt. Vorbei sind aber die Zeiten, in denen Väter sich alleine dem finanziellen Druck stellen müssen, wenn auch Frauen Alleinversorgerin sein können oder zumindest einen Teil zur Familienkasse beitragen möchten.

Fazit

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber auch die Fairness gegenüber Frauen, die (mit oder ohne Kinder) Karriere machen möchten, ist gefragt. Zudem gilt es, das tief verankerte Bild der kinderlosen Frau aufzubrechen. Zwar ist es für viele Mütter nicht ganz einfach, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Wer sich aber bewusst gegen Kinder entscheidet, um Karriere zu machen, sollte nicht leiden müssen unter einem Mama-Bild, einem Mythos, welcher Mutterschaft idealisiert. Nicht jede Frau muss Mutter sein. Nicht jede Mutter muss auf Karriere verzichten. Mutter zu sein und sich nur um den Nachwuchs zu kümmern, auch das ist okay. Problematisch ist eher die Tatsache, dass wir nach glorifizierten Rollenbildern leben, obwohl kein „richtig“ oder „falsch“ existiert.

Bildnachweis: Ponomariova_Maria/istockphoto.com

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Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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