Es ist aufwendiger, Unsinn zu entkräften, als ihn zu produzieren: So lautet das Gesetz nach Brandolini – auch bekannt als „Bullshit-Asymmetrie-Prinzip“.

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Postfaktisch: Gefühle und Emotionen zählen mehr als Tatsachen

Halbwahrheiten, Fake News und Lügen – sie entstehen schnell, wenn Menschen mit eigentlich unsinnigen Inhalten die Emotionen von anderen triggern. Ist dieser Schritt geschafft, rücken Tatsachen rasch in den Hintergrund. Da ist zum Beispiel die charmante Führungskraft, die mit einer schmierig-emotionalen Rede die Mitarbeiter um den Finger wickelt. Oder der Kollege, der voller Enthusiasmus überzeugend erklärt, warum das Team einem bestimmten Kollegen nicht trauen darf. Jetzt ist es schwierig, objektiv und kritisch zu bleiben.

Emotionen machen es kompliziert. In der Politik wird das Phänomen mit dem Begriff „postfaktisch“ beschrieben, welcher im Jahr 2016 übrigens zum Wort des Jahres gekürt wurde. Dass der Wahrheitsgehalt deutlich in den Hintergrund rückt, wenn Emotionen im Spiel sind, besagt auch das 2013 entstandene Gesetz nach Alberto Brandolini, welches als „Bullshit-Asymmetrie-Prinzip“ bezeichnet wird: Gedanklicher, politischer, psychologischer Bullshit ist blitzschnell produziert. Ihn zu widerlegen, kostet Kraft und Zeit.

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Brandolinis Gesetz: Was steckt dahinter?

Informatiker Brandolini bezog sich 2013 mit seiner Aussage, dass der Aufwand, Unsinn zu widerlegen, wesentlich höher als der sei, ihn in die Welt zu setzen, auf die in Italien vorherrschende Politik. Es wird ein Bezug zum kürzlich verstorbenen und oft umstrittenen Politiker Silvio Berlusconi hergestellt, dessen widersprüchlichen Aussagen Brandolini zu dieser Erkenntnis inspiriert haben sollen.

Das Prinzip ist aus wissenschaftlicher Sicht eines, das im Zusammenhang mit der Theorie des „motivated reasonings“ steht. Hierunter wird eine verzerrte kognitiv-soziale Reaktion auf etwas verstanden, das unsere Vorurteile bestätigt und somit unsere ohnehin existierende Überzeugung nochmals bekräftigt.

Beispiel: Böser Chef

Ein klassisches Beispiel bezieht sich auf die Wahrnehmung von Autoritätspersonen. Jemand, der davon überzeugt ist, dass alle Chefs böse Absichten haben, wird jede Aussage seines aktuellen Bosses im Meeting auf die Goldwaage legen – auch wenn diesen nicht ganz so viel Gewicht beigemessen werden müsste und eine objektive Reflexion mit emotionaler Distanz hilfreich sein könnte, um das Urteil zu entwirren.

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Im Falle einer Entscheidungssituation haben wir unsere Entscheidung demnach auf Basis unserer Emotionen bereits zuvor festgelegt, sodass rationale Gründe ausscheiden. Der Boss ist und bleibt böse, glauben wir. Getreu dem Motto:

„Ich werde nur das wahrnehmen, sehen und hören, was ich selbst wahrnehmen, hören und sehen will.“

Warum spielen Fakten eine untergeordnete Rolle?

Ob im Beruf, in der Liebe oder in der Freundschaft: Negative Emotionen können besonders intensiv sein. So intensiv, dass Fakten, die der Verstand einem vorführt, ebenfalls verzerrt werden. Wer zum Beispiel wütend über die ungerechte Behandlung durch den Chef ist oder einen großen Neid auf seinen leistungsstarken Kollegen verspürt, muss damit rechnen, dass der rationale Verstand aussetzt.

Eine freundliche Geste des Kollegen, der nichts Böses im Sinn hat und mit seiner fachlichen Expertise helfen möchte, wird nun möglicherweise als Demütigung oder Beschämung wahrgenommen. Fakten und Motive, die eine fehlende böse Absicht untermauern, erscheinen besonders blass und haben kaum eine Chance, sich durchzusetzen.

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Wird die Überzeugung des neidischen Kollegen durch falsche Gerüchte von anderen Mitarbeitern bestätigt, kann ein solcher Unsinn nur schwer wieder aus der Welt geschaffen werden – weil es wesentlich mehr Aufwand kostet, jemanden rational und logisch zu überzeugen, wenn die Emotionen eine Mauer aufbauen, die gegen jedes Argument immun ist.

Unwahre Geschichten im Job: Wie gehe ich mit Lügen und Gerüchten um?

Unsere Meinungsbildung wird vor allem durch die Flut an Informationen, die uns heute zur Verfügung stehen, beeinflusst. Im persönlichen Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten kann es dennoch oder wegen der Reizüberflutung schwierig sein, sich ein kritisches Bild zu machen. Wie also ist es möglich, eine Lüge von einer Wahrheit zu unterscheiden? Hier einige Ansätze:

1. Prüfen: Woher kommt eine Behauptung?

Falsche Behauptungen können vor allem mit ihrer reißerischen Aufmachung überzeugen. In den Medien etwa wird alles, was die Emotionen der Leser triggert, Erfolgschancen haben. Ein Prinzip, das aus den Medienwissenschaften allseits bekannt ist.

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Im Berufsleben gibt es Parallelen: Sagt der Chef die Wahrheit? Will ein Kollege dich hinters Licht führen? Wer im Job unsicher ist, ob es sich bei skurrilen Behauptungen um die Wahrheit handelt, sollte deshalb nicht blind einem Gerücht folgen. Es gilt, Behauptungen selbst und kritisch zu überprüfen:

  • Glaubwürdigkeit: Wer behauptet etwas?
  • Quelle: Woher stammen die Informationen, die weitergegeben werden?
  • Gegenargument: Was spricht gegen die Information?
  • Pro-Argument: Was untermauert sie?

2. Cultural cognition: Nicht dem sozialen Druck verfallen

Gesunde Teamarbeit und ehrliche Kommunikation im Job können verhindert werden, wenn wir dem Phänomen des „cultural cognitions“ verfallen. Dan Kahan, Rechtswissenschaftler, definiert dieses Phänomen folgendermaßen: Menschen neigten dazu, ihre Ansichten so anzupassen, dass sie den Überzeugungen der eigenen sozialen Gruppe entsprechen. Fakten könnten dabei irrelevant sein, solange man sich (emotional, sozial) zugehörig fühlt – so abwegig eine Behauptung dann auch sein mag.

Es bestünde dann die Gefahr, dass wissenschaftlich nachweisbare, sachliche Fakten intensiv politisiert werden würden, was ein Problem darstellt. Um diesem sozialen Druck nicht zu verfallen und sachliche Thematiken auch nicht künstlich zu verfälschen, sei es wichtig, sich unabhängig von der kulturell-sozialen Zugehörigkeit ein eigenes Bild zu machen.

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Gleiches gilt im Beruf: Auch wenn der soziale Druck vorhanden ist, sollte eine Behauptung niemals ausschließlich auf Grundlage der sozialen Zugehörigkeit verifiziert werden.

3. Erkenntnis annehmen: Nicht jeder lässt sich argumentativ mit Fakten überzeugen

Ein Extrembeispiel für die Problematik, wenn unsere Emotionen überhandnehmen, sind Verschwörungstheorien: Die inhaltlich argumentative Ebene funktioniert nicht oder nur selten, um solche Theorien zu entkräften. Wer schon einmal mit Verschwörungstheoretikern im Gespräch war, weiß, dass nachweisbare Fakten sich nicht unbedingt durchsetzen werden – und hier deshalb kaum ein wirkungsvolles Mittel sind, um Argumente zu widerlegen.

Nach dem Bullshit-Asymmetrie-Prinzip wäre es nun so ganz sinnlos oder zumindest besonders aufwendig, 15 treffende Argumente, die auf Fakten basieren, aufzuführen. Ein einziges Gegenargument, welches die Emotionen triggert, würde die Zielgruppe, die etwa in der Politik angesprochen wird, überzeugen. Man könnte sagen: Wir haben unsere Energie verschwendet, weshalb es manchmal empfehlenswert ist, sich nicht auf weitere Diskussionen einzulassen, sofern es die falsche Ebene ist.

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Nichtsdestotrotz kann es sich lohnen, ein solches Gespräch zu führen: Jemand, der von seiner Position nicht zu 100 Prozent überzeugt ist, wird zumindest zum Nachdenken über die Gegenposition angeregt.

Kritisches Hinterfragen: Eine Zukunftskompetenz – und schon jetzt wichtig

Nicht nur in der persönlichen Kommunikation zwischen Kollegen ist das eigenständige, kritische Denken wichtig. Aufgrund der dynamischen digitalen und technologischen Entwicklungen, zu denen die Künstliche Intelligenz (KI) zählt, wegen der schnellen Informationsverbreitung und auch aufgrund der allgemeinen Medienwirksamkeit wird kritisches Hinterfragen im beruflichen Kontext immer wichtiger. Informationen sollten nachvollziehbar sein und reflektiert werden, bevor sie verwendet werden. Wichtig ist deshalb, bestehende Überzeugungen, Denkmuster und Vorurteile zu hinterfragen, um sich von der Echtheit eines Inhalts oder einer Behauptung zu überzeugen.

Bild: Moor Studio/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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