Nur Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Mehrarbeit musste bisher von Arbeitgebern erfasst werden. Jetzt gibt es Neuerungen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung.

Im September 2022 hat das Bundesarbeitsgerichts (BAG) festgestellt, dass ein System zur Erfassung der Start- und Endarbeitszeit von Arbeitnehmern für alle Arbeitgeber in Deutschland verpflichtend ist. Die Antwort auf die Frage, ob deutsche Arbeitgeber zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems verpflichtet sind, blieb aus juristischer Sicht bisher problematisch.

Denn: Hintergrund ist ein im Mai 2019 gefälltes Urteil vom Europäischen Gerichtshof (EuGH). Aus diesem geht hervor, dass sämtliche Arbeitgeber, die einem europäischen Mitgliedstaat angehören, ein allen voran zugängliches, zuverlässiges und objektives Zeiterfassungssystem einrichten müssen. Weil der deutsche Gesetzgeber hierzu bisher kein Gesetz erlassen hat, galt die Frage nach der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung als ungeklärt.

Was ist bisher passiert?

Das im September gefällte Urteil vom BAG bezieht sich auf einen Fall, in dem es um die Streitfrage ging, ob Betriebsräte darauf bestehen können, ein elektrisches System zur Zeiterfassung von Arbeitnehmern einzuführen. Es ging auch um die Frage, ob Betriebsräte ein Initiativrecht besäßen.

Das verneinte das Gericht – und verwies darauf, dass in der Bundesrepublik bereits ein Gesetz existiere, welches Unternehmen dazu verpflichte, die Arbeitszeit von Arbeitnehmern zu erfassen. Die Existenz dieses Gesetzes schließe automatisch aus, dass Betriebsräte sich beteiligen oder ein Initiativrecht wahrnehmen könnten.

Konkret: Es handelt sich um ein Grundsatzurteil – also um ein Urteil, welches sich auf ein bisher generell ungeklärtes/umstrittenes juristisches Problem bezieht. Das im September 2022 gefällte BAG-Urteil verwies auf das geltende Arbeitsschutzgesetz (Paragraph 3). Demnach seien Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichtet, die Zeiten, zu denen Arbeitnehmer arbeiteten, zu erfassen.

Was galt bisher?

Bisher galt, dass Arbeitgeber lediglich sicherstellen mussten, dass Überstunden erfasst werden und auch Sonn- und Feiertagsarbeit berücksichtigt werden. Beachtet werden mussten außerdem individuelle Regelungen zwischen Arbeitgebern und -nehmern. Diese ergaben sich beispielsweise aus Betriebsvereinbarungen. Aber auch vertragliche Verpflichtungen aus Tarifverträgen konnten bisher Regelungen zum Thema Zeiterfassung beinhalten.

Was ändert sich für Unternehmen konkret?

In der Praxis bedeutet das Grundsatzurteil für Arbeitgeber, dass die Erfassung von Überstunden sowie die Dokumentation von Feiertags- und Mehrarbeit nicht mehr ausreichend ist. Erfasst werden muss der konkrete Arbeitsbeginn, die Pausenzeit und das Ende der Arbeitszeit.

1. Wie viel Zeit haben Arbeitgeber, um ein Zeiterfassungssystem einzuführen?

Das Grundsatzurteil des BAG sieht vor, dass Unternehmen ab sofort ein entsprechendes System einführen. Eine Übergangsfrist bleibt zumindest unerwähnt. Denn dies sei, so die Begründung des BAG, schon jetzt geltendes Recht in der Bundesrepublik.

2. Wie muss das Zeiterfassungssystem aussehen?

Objektiv, zugänglich und außerdem verlässlich – so hat ein System zur Zeiterfassung laut EuGH-Urteil auszusehen. Das kann zum Beispiel eine entsprechende Software ermöglichen. Konkret bedeutet es, dass Arbeitgeber eine Lösung nicht nur zur Verfügung stellen müssen, sondern auch verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die Arbeitszeit dokumentiert werden kann und Arbeitnehmer eine entsprechende Möglichkeit dazu bekommen.

3. Muss die Arbeitszeit in elektronischer Form erfasst werden?

Wichtig ist, dass die vorgegebenen Kriterien aus dem EuGH-Urteil – Verlässlichkeit, Zugänglichkeit und Objektivität – gewährleistet werden. Das schließt, zumindest bisher, die Papierform nicht aus. Das bedeutet, dass die Arbeitszeit sowohl schriftlich auf Papier als auch digital erfasst werden kann. Es sollte dennoch beachtet werden, dass Unternehmen vom Gesetzgeber möglicherweise dazu aufgefordert werden, moderne technische Lösungen für die Arbeitszeiterfassung einzusetzen.

4. Droht Angestellten eine Strafe, wenn sie ihre Arbeitszeit nicht dokumentieren?

Grundsätzlich sind es Unternehmen und Arbeitgeber, die dazu verpflichtet sind, die Erfassung der Arbeitszeit durchzusetzen. Für Beschäftigte bedeutet das: Wenn sie keine Dokumentation durchführen, droht ihnen zumindest vom Gesetzgeber keine Strafe. Aber es kann zu einer Abmahnung vom Arbeitgeber kommen und dieser kann Angestellte sogar kündigen. Voraussetzung hierfür ist, dass Arbeitnehmer sich bewusst weigern, ihre Arbeitszeit nicht zu erfassen, obwohl ihr Arbeitgeber sie hierzu auffordert, um seine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu erfüllen.

5. Werden Arbeitgeber bestraft, wenn sie Arbeitszeiten nicht aufzeichnen?

Bisher sieht der Gesetzgeber zwar keine Strafe vor, wenn Unternehmen ihre Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vernachlässigen. Mit der Konkretisierung des Gesetzes im Jahr 2023 könnten sich aber auch hier neue Regelungen ergeben. Deshalb wird Arbeitgebern generell dazu geraten, zwar nicht in Panik zu verfallen, gleichzeitig aber zu prüfen, welche Möglichkeiten vorliegen oder bisher umgesetzt wurden, um die Arbeitszeiten von Arbeitnehmern ordentlich und nachvollziehbar zu erfassen.

Ausnahme: Gab es in einem Unternehmen in der Vergangenheit bereits Kontrollen durch Behörden, während derer ein Verstoß oder eine falsche Arbeitszeiterfassung festgestellt werden konnte, können Arbeitgeber in diesem Kontext durchaus sanktioniert werden, wenn es zu einem erneuten Verstoß kommt.

6. Können Unternehmen weiterhin Vertrauensarbeitszeit anbieten?

Eine wichtige Frage, die vor allem Arbeitgeber mit modernen, flexiblen Arbeitsmodellen beschäftigt, ist die, ob New Work weiterhin stattfinden kann. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) antwortet hierauf, dass eine Vertrauensarbeitszeit zwischen Arbeitgebern und -nehmern weiterhin wie gewohnt vereinbart werden kann.

Vertrauensarbeitszeit beruht auf dem Grundsatz, dass Arbeitgeber und -nehmer sich „vertrauen“, wenn es um die zu erledigende Arbeit geht, was eine Kontrolle der konkreten Arbeitszeit ausschließt. Die Arbeit findet üblicherweise im heimischen Büro oder zumindest zeit- und ortsunabhängig statt. Wichtig ist hierbei nicht die tatsächlich abgesessene Arbeitszeit, sondern das Arbeitsergebnis.

Auch wenn ein gewisser Widerspruch nicht auszuschließen ist, sieht das BAG-Urteil keine Abschaffung von flexiblen Arbeitsmodellen vor. Wichtig ist, dass Unternehmen ein passendes Zeiterfassungssystem einführen, welches zum Beispiel digital und unabhängig vom Arbeitsort für Arbeitnehmer zugänglich ist, um die Arbeitszeit zu dokumentieren. Deshalb ist zumindest ein organisatorischer Aufwand für die Konzeptionierung einer Lösung nicht auszuschließen.

Gut zu wissen: In der Praxis bedeutet die Umsetzung, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbstständig erfassen, Arbeitgeber diese aber nicht kontrollieren (müssen). So können Unternehmen weiterhin auf den Grundsatz des Vertrauens zurückgreifen.

7. Was ist, wenn ich als Angestellter meine Arbeitszeit nicht digital erfassen will?

Arbeitnehmer können nicht dazu verpflichtet werden, dass sie ihre privaten Smartphones zur Arbeitszeiterfassung benutzen, um eine App für die Arbeit zu installieren.

Konkret: Sofern Arbeitgeber eine digitale Lösung nutzen, um die Arbeitszeiten zu dokumentieren, müssen sie auch sicherstellen, dass Arbeitnehmer Zugang dazu haben. Im Detail bedeutet es beispielsweise, wenn ein Smartphone samt App notwendig ist, um die Start- und Endzeit der Arbeit einzutragen, müssen Unternehmen entsprechende Mittel zur Verfügung stellen. Aber auch eine andere Option (Alternative), wenn Beschäftigte diese einfordern. Deshalb sollten Unternehmen bei der Konzeptionierung entsprechender Lösungen auch auf die Rechte und Möglichkeiten ihre Arbeitnehmer achten.

8. Muss die Chefetage ihre Arbeitszeit ebenfalls aufzeichnen?

Grundsätzlich geht es im BAG-Urteil um die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung von Arbeitnehmern, die durch Arbeitgeber sichergestellt werden muss. Deshalb werden zum Beispiel Geschäftsführer mit Arbeitgeberfunktion nicht dazu aufgefordert, ihre Arbeitszeiten zu dokumentieren.

Die Position von leitenden Angestellten ist dennoch nicht ganz geklärt, weil diese laut Arbeitsschutzgesetz – und auf dieses bezieht sich das BAG-Grundsatzurteil – von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht ausgenommen werden. Lediglich im Arbeitszeitgesetz unterstehen leitende Angestellte keiner solchen Regelung, die dazu verpflichtet, die Arbeitszeit aufzuzeichnen.

Es gilt, weiterhin abzuwarten: Im Jahr 2023 soll es zu Konkretisierungen zum Thema Arbeitszeiterfassung kommen, welche die eine oder andere Frage für Arbeitgeber und auch Arbeitnehmer klären dürften.

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