4,6 Millionen Arbeitnehmer haben 2023 laut Destatis Überstunden geschoben. Aber: Wie viel Arbeitsleistung und Zeit darf dein Chef von dir einfordern?

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Werden dir Urlaubstage gestrichen, Ruhezeiten nicht gewährt, unendliche Überstunden verlangt und kein marktüblicher Lohn und kein Mindestlohn gezahlt, bist du mit hoher Wahrscheinlichkeit von Ausbeutung am Arbeitsplatz betroffen.

Der Begriff „Ausbeutung“ wird oft in Zusammenhang mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen in ärmeren Ländern erwähnt. Aber auch hierzulande gibt es Ausbeutende und Ausgebeutete. Vor allem sind diese Personengruppen in eher prekären Arbeitsverhältnissen zu finden, aber nicht nur.

In der modernen Arbeitswelt findet die Ausbeutung auf eine Weise statt, die nicht immer hinterfragt wird, wenn sie zum Beispiel subtil im Hintergrund abläuft. Chefs, die Arbeitskräfte bewusst ausnutzen, befinden sich in einer Machtposition, die auf dem Wissen beruht, dass Betroffene sich in einer abhängigen Situation befinden.

Sie sind beispielsweise auf diesen einen Arbeitsplatz angewiesen, weil sie keine große Bildung genossen haben, die deutsche Sprache nicht ganz beherrschen, keine Aufstiegschancen sehen. Mögliche Folgen einer Ausbeutung:

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  • Seelischer Stress, Sorgen und innere Leere

    Wenn Mitarbeitende ständig unter Druck stehen und das Gefühl haben, ihre Arbeit wird nicht wertgeschätzt, führt das zu erheblichem seelischen Stress. Dieser Stress kann an ihnen nagen und eine tiefe innere Leere hinterlassen. Kein Mensch sollte sich so fühlen müssen, nur um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

  • Körperliche Erschöpfung

    Wer nach der Arbeit regelmäßig völlig erschöpft ist, bekommt ein klares Signal vom Körper: Hier wird zu viel verlangt. Wenn die Erschöpfung zur Dauerbelastung wird, fehlen notwendige Pausen und Erholungsphasen. 

  • Leistungsdruck und Angstzustände

    Ständiger Leistungsdruck kann auch zu Angstzuständen führen. Wenn Mitarbeitende sich ständig überfordert fühlen, geht das weit über normalen Arbeitsstress hinaus. Niemand sollte in einem solchen Zustand arbeiten müssen, in ständiger Angst, den Erwartungen nicht gerecht zu werden oder nicht genug zu leisten.

  • Isolation am Arbeitsplatz aufgrund des Machtgefälles

    Sich am Arbeitsplatz isoliert und übergangen zu fühlen, kann für Beschäftigte sehr belastend sein. Wenn Vorgesetzte ihre Macht ausspielen, um Mitarbeitende kleinzuhalten, führt das zu einer tiefen emotionalen Isolation.

Schon gewusst?

Im juristischen Sprachgebrauch ist häufig von „Lohnwucher“ (§ 291 StGB) die Rede, wenn die Ausbeutung von Arbeitnehmern beschrieben werden soll. Sie ist rechtswidrig und kann in Ernstfällen deshalb strafrechtlich verfolgt werden. Wer als Arbeitnehmer den Verdacht hegt, von einem Unternehmen ausgebeutet zu werden, sollte sich rechtlichen Rat holen. Eine Beratung kann dabei helfen, Missstände aufzudecken und Täter zu belangen.

Was darf mein Chef von mir verlangen?

In Tarifverträgen ist geregelt, was Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusteht. Wenn kein Tarifvertrag vorhanden ist, besteht laut deutschem Arbeitsrecht die Möglich für beide Parteien, individuelle Punkte gemeinsam für den Arbeitsvertrag auszuhandeln.

Danach ist es im Grunde simpel: Ein Blick in deinen Arbeitsvertrag genügt, um zu wissen, was dein Arbeitgeber von dir verlangen darf – und wann Grenzen überschritten werden, die in Ausbeutung münden.

Dennoch ergeben sich oft folgende Fragen, weil einige Punkte eher vage oder unverständlich und damit ungeklärt bleiben. Diese nehmen wir uns im Detail vor:

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#1: Muss ich krank zur Arbeit gehen, wenn mein Arbeitgeber das verlangt?

Mit verschnupfter Nase auf der Arbeitsmatte erscheinen oder gar draußen an der kalten Luft arbeiten, weil dir sonst dein Lohn verwehrt wird? Das riecht nach Ausbeutung deiner Arbeitskraft.

Wenn du eine offizielle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hast, kann dein Arbeitgeber dich nicht zur Arbeit ordern oder von dir verlangen, dass du trotz Krankheit im Homeoffice tätig wirst. Dieser kann auch nicht mit der Einstellung der Lohnzahlung drohen, denn du hast Anspruch auf eine Lohnfortzahlung. Anders ist es, wenn du auch ab dem dritten Tag kein Attest vorlegen kannst oder dich wegen Krankheit einfach nicht von der Arbeit abmeldest. Dann muss dein Arbeitgeber dir nichts zahlen.

Gut zu wissen: Dein Arbeitgeber muss nicht erfahren, wie die Diagnose lautet. Auch Betriebsärzte halten sich deshalb an die Schweigepflicht. Solltest du dich jedoch wieder gesund fühlen, kannst du die Arbeit vorzeitig wieder aufnehmen, auch wenn das Datum auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anders lautet. Es handelt sich üblicherweise um eine reine Einschätzung deiner Ausfallzeit. Hast du außerdem gewusst, dass dein Arbeitgeber dich bei ernsthaften Zweifeln im Sinne der Fürsorgepflicht auch wieder nach Hause schicken darf?

#2: Darf mein Boss mir meine Pausen verwehren, wenn viel zu tun ist?

Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Ruhepausen zu gewährleisten. Dies ist der Fall, wenn du mindestens sechs Stunden arbeitest. Dann stehen dir 30 Minuten zu (Arbeitszeitgesetz (ArbZG);§ 4 Ruhepausen). Wer sich auf der Arbeit nicht ausruhen darf, obwohl mehrere Stunden gearbeitet wird, wird mit Sicherheit ausgebeutet. Körperliche und mentale Erschöpfung sind oft die Ergebnisse dieser „Fließbandarbeit“ ohne Pause. Zudem begeht dein Chef eine Ordnungswidrigkeit, die häufig mit Geldbußen bestraft wird (Arbeitszeitgesetz (ArbZG); § 22 Bußgeldvorschriften).

Deshalb gilt: Auch wenn gerade viel zu tun ist, darf dein Chef nicht von dir einfordern, dass du durcharbeitest, ohne durchatmen zu können, etwas zu essen und zu trinken oder dir die Beine zu vertreten. Deine Pause(n) stehen dir zu.

#3: Dürfen Vorgesetzte einfach so Überstunden anordnen?

Sofern Überstunden und Mehrarbeit im Vertrag geregelt sind und eine Maximalstundenanzahl explizit genannt wird, kann dein Chef verlangen, dass du bleibst. Wenn die Regelung fehlt, kann dein Chef Überstunden mit deinem Einverständnis anordnen. Bedeutet also: Du musst nicht bleiben, wenn es hierfür keine rechtliche Grundlage gibt. Vorgesetzte, die Beschäftigte zwingen, länger als zehn Stunden pro Tag zu arbeiten, beuten diese aus und begehen ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit.

Übrigens: Ein Ausgleich steht Arbeitnehmern nur in den Fällen zu, in denen Vorgesetzte die Überstunden selbst anordnen. Sofern Beschäftigte selbstverschuldet länger bleiben müssen, weil sie während der eigentlichen Arbeitszeit private Telefonate geführt oder getrödelt haben, kann kein Ausgleich verlangt werden.

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#4: Darf mein Chef mich dazu drängen, dass ich für ihn lüge?

Die Situation der Abhängigkeit zu nutzen, um Beschäftigte nicht nur finanziell, sondern auch emotional auszubeuten – dazu hat dein Chef kein Recht. Arbeitgeber dürfen von ihren Arbeitnehmern auch in schwierigen Fällen nicht verlangen, dass diese unehrlich sind und mit den Konsequenzen leben müssen. Wer als Führungskraft flunkern muss, etwa um einen Kunden zu behalten, sollte die Verantwortung hierfür selbst tragen.

#5: Kann mein Chef meine Urlaubstage kürzen?

Nein – dir stehen laut Bundesurlaubsgesetz mindestens 24 Tage Urlaub zu, die dir dein Boss nicht einfach so streichen kann. Das Gesetz regelt außerdem, dass dein Arbeitgeber dich während der dir gesetzlich zustehenden Urlaubstage bezahlen muss. Wird auch hier verlangt, zu arbeiten, weil andernfalls kein Geld mehr fließt, werden Beschäftigte ausgebeutet. Und: Dein Chef darf dir genehmigte Urlaubstage auch nicht streichen, damit du stattdessen auf der Arbeit erscheinst.

#6. Darf mein Chef mich im Urlaub oder nach Feierabend kontaktieren?

Im Urlaub entspannen und nach Feierabend abschalten – das ist dein gutes Recht. Dein Chef hat kein Anrecht darauf, dich außerhalb deiner regulären Arbeitszeiten zu kontaktieren, es sei denn, es handelt sich um einen absoluten Notfall, der nicht aufgeschoben werden kann.

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Auch hier handelt es sich um eine Form der Ausbeutung, wenn dein Chef regelmäßig versucht, dich nach Feierabend oder im Urlaub zu erreichen, um Arbeitsaufträge zu erteilen oder Besprechungen anzusetzen. Dein Recht auf Erholung und Freizeit sollte respektiert werden.

#7: Kann mein Chef verlangen, dass ich private Ausgaben für die Arbeit trage?

Die Kosten für Arbeitsmaterialien, Dienstreisen oder beruflich notwendige Ausstattungen wie Arbeitskleidung müssen grundsätzlich vom Arbeitgeber übernommen werden. Sollte dein Chef von dir verlangen, dass du solche Ausgaben aus eigener Tasche finanzierst, handelt es sich um einen klaren Missbrauch seiner Machtposition. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn diese Kosten erheblich sind und deine finanzielle Lage belasten. Dein Arbeitgeber darf dir keine beruflichen Kosten aufbürden, die er selbst zu tragen hat.

Ich werde vom Arbeitgeber ausgebeutet – was kann ich tun?

Ausbeutung, die mit voller Absicht stattfindet, weil Beschäftigte sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, muss regelmäßig verfolgt werden. Üblicherweise werden solche Fälle von den Arbeitsschutzbehörden kontrolliert, aber die Praxis zeigt, dass dennoch viele Straftaten und Ordnungswidrigkeiten „durch die Lappen“ gehen können.

Fachanwalt Alexander Bredereck empfiehlt Folgendes, wenn Beschäftigte ausgebeutet werden:

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  • Dokumentation: Wichtig sei, dass Beschäftigte die Arbeitsbedingungen schriftlich festhalten würden, um diese den Arbeitgebern vorlegen zu können. Damit würde man diese zunächst „aktenkundig“ machen. Bredereck hält fest, dass ein solches Schreiben als unangenehm empfunden werden würde – denn keiner wolle sich strafbar machen.
  • Krankschreibung: Manchmal sei man so weit gekommen, dass die Gesundheit leiden würde. Wenn die vorherrschenden Bedingungen dich krank machen, sollst du zum Arzt gehen und dir ein entsprechendes Attest besorgen. Dies gilt für den Fall, wenn der erste Schritt nicht hilft. Als Konsequenz könne eine „Überlastungsanzeige helfen“. Sie dient dazu, dem Chef zu zeigen, dass es zu Schäden kommt oder diese drohen, wenn die Arbeitsbedingungen nicht verbessert werden.
  • Anwaltliche Hilfe: Wenn alle Maßnahmen folgenlos bleiben, können Betroffene einen Anwalt einschalten. Dies sei aber die letzte Konsequenz und gehe oft mit einer Kündigung seitens des Arbeitgebers einher.

Bild: Shutter2U/istockphoto.com

Anmerkung: Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung im eigentlichen Sinne dar. Die Inhalte können und sollen eine individuelle und verbindliche Rechtsberatung nicht ersetzen.