Wer ähnlich viel Geld verdient, wie Leistungsempfänger in Form des Bürgergeldes ab 2023 bekommen, stellt sich jetzt die Frage: „Warum soll ich überhaupt noch arbeiten gehen, wenn ich ohne Job genauso gut leben kann?“

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Ab Januar 2023 wird das Bürgergeld das noch bestehende System „Hartz IV“ ersetzen. Für erwachsene Leistungsempfänger gibt es dann einen Regelsatz, welcher 53 Euro mehr verspricht: Aus 449 Euro werden zu Jahresbeginn 502 Euro. Weil inflationsbedingt die Preise für Lebensmittel, Pflege und Kleidung steigen und auch Energie mehr kostet, stellen sich viele Arbeitnehmer die Frage, ob sich Arbeiten überhaupt noch lohnt.

Denn: Gerade Geringverdiener, die den Mindestlohn erhalten, könnten theoretisch ihre Arbeit aufgeben und dennoch ungefähr das Geld bekommen, was sie derzeit noch verdienen. Zumindest werden immer mehr Stimmen lauter, welche diese Meinung vertreten.

Eine „Bürgergeld-Analyse“ von Focus Online zeigt jetzt: Die Rechnung geht nur auf, wenn es sich um ein Paar mit mindestens zwei Kindern und einem niedrigen Einkommen handelt. Für Singles würde es sich nach den Berechnungen eher lohnen, ihrer Arbeit nachzugehen – denn so wären sie immer noch im Plus. Und auch für Familien gilt: Wenn das Geld knapp wird, müssen zunächst andere Leistungen ausgeschöpft werden. Dazu gehört zum Beispiel das Wohngeld.

Für Geringverdiener wird es attraktiver, den Job an den Nagel zu hängen

Wie die Berechnungen auch aussehen mögen: Einige Menschen möchten schon bald den Job kündigen, um lieber Leistungen vom Staat zu beziehen. Dies gilt beispielsweise für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus dem handwerklichen Bereich, die körperlich hart arbeiten, aber wenig verdienen.

Die zentrale Kritik: Wer arbeitet, muss Miete und steigende Heizkosten decken. Wer nicht arbeitet, muss sich darum kaum Gedanken machen – denn Mietzahlungen und das Geld fürs Heizen werden übernommen. Auch die Rundfunkgebühren müssen nicht aus eigener Tasche bezahlt werden.

Viele Geringverdiener sehen den Vorteil ganz deutlich: Sie könnten genauso gut morgens ausschlafen – anstatt sich für die Arbeit fertig zu machen. Sie könnte ihren Interessen nachgehen, ohne arbeiten zu müssen. Sie hätten mehr Zeit für sich, für Familie, Freunde und das gesellschaftliche Leben im Privaten. Grundsätzlich wird der Gedanke, den Job kurzerhand an den Nagel zu hängen, immer attraktiver.

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Bürgergeld: Deshalb lohnt es sich, trotzdem arbeiten zu gehen

Ganz so einfach, wie es sich viele Arbeitnehmer mit geringem Verdienst vorstellen, ist es in der Realität aber nicht. Es sprechen mehrere Gründe dafür, warum es sich trotz steigenden Regelsätzen lohnt, den Job aufzugeben

1. Verpflichtungen, die mit dem Bürgergeld einhergehen

Einfach die Füße hochlegen, nicht mehr schuften, machen, was man möchte? Auch wenn mit der Arbeitslosigkeit einige Freiheiten einhergehen, befreit sie nicht von gewissen Verpflichtungen.

Wenn eine Maßnahme zur Weiterbildung oder Ausbildung angeboten wird, müssen Leistungsempfänger sich zur Kooperation bereiterklären. Außerdem ist es wichtig, regelmäßig nachzuweisen, dass man sich um einen Job bemüht.

Heißt: Der Leistungsbezug ist an gewisse Bedingungen geknüpft, da es andernfalls zu Sanktionen kommt. Wer Geld erhalten möchte, ist deshalb verpflichtet, speziellen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu gehört auch, die persönliche und finanzielle Lage offenzulegen und jegliche wirtschaftliche Veränderungen zeitig mitzuteilen.

2. Sanktionen sind bei Jobkündigung möglich

Wer den Job selbst kündigt oder seinen Job durch „schuldhaftes“ Verhalten riskiert und verliert, muss mit bis zu 30 Prozent Sanktion rechnen. Das bedeutet, dass die eigene Kündigung gut begründet werden muss, um von Beginn an die volle Leistung zu bekommen. Deshalb ist der Gedanke, einfach zu kündigen und sich auf das Geld vom Staat verlassen zu können, keiner, der zwangsläufig der Realität entspricht.

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3. Andere Leistungen gehen vor

Elterngeld, Arbeitslosengeld 1, Kindergeld, Wohngeld: Diese Leistungen werden genehmigt, wenn alle Voraussetzungen erfüllt werden – noch bevor Harzt IV im Jahr 2022/Bürgergeld ab 2023 genehmigt wird.

Wer bald Bürgergeld empfangen möchte und zuvor gearbeitet hat, kann die Leistung demnach nicht ohne weiteres erhalten. Wer dennoch kündigt, muss für Miete und Co. möglicherweise an das Ersparte gehen, wenn auch Zuschüsse nicht zum Leben ausreichen.

4. Keine Vorteile für die Rente

Wer Bürgergeld empfangen wird, wird nicht mehr automatisch in die Rentenkasse einzahlen und muss möglicherweise mit 63 Jahren in die sogenannte Zwangsrente. Heißt: Im Vergleich zu denjenigen, die länger arbeiten und in die Kasse einzahlen, müssen Bürgergeld-Bezieher schon früher mit weniger Geld auskommen.

5. Beschäftigungslosigkeit als Grund für Depressionen

Auch wenn es verlockend erscheint, nicht mehr arbeiten zu müssen und die erste Zeit der Arbeitslosigkeit noch rosig aussieht: Wer die Arbeit aufgibt, riskiert auch, einen Teil seiner psychischen Gesundheit aufzugeben. Eine Untersuchung der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass die Beschäftigungslosigkeit zur mentalen Belastung werden kann und zu Depressionen führt. Ängste, Niedergeschlagenheit und Statusverlust gehören dazu.

Gerade Menschen, die einer Tätigkeit über mehrere Jahre nachgehen und plötzlich kündigen, spüren möglicherweise eine große Leere und Sinnlosigkeit, wenn die Tagesroutine verloren geht und sie sich nicht mehr gebraucht fühlen.

Hinzu kommt: Je länger wir den Arbeitsmarkt nicht mehr „betreten“, desto schwerer fällt es uns möglicherweise, den Weg zurück in die Arbeit zu finden, wenn wir es uns doch anders überlegen.

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Kritik: Erhöhung des Regelsatzes kaum nennenswert

Während Arbeitnehmer darüber nachdenken, nicht mehr arbeiten zu gehen, werden auch Stimmen laut, die sich für Hartz-IV-Empfänger und künftige Bürgergeld-Bezieher einsetzen. So lautet die allgemeine Kritik, dass auch 53 Euro mehr nicht reichen – höchsten zum „Überleben“ und um die inflationsbedingten Kosten zu decken. Zudem fällt auf, dass zwar die Inflation sich verstärkt und die Lebenshaltungskosten generell ansteigen, die Löhne in vielen Branchen aber nicht parallel ansteigen.

Der Umkehrschluss könnte lauten: Es ist nicht unbedingt das Bürgergeld, welches zu hoch ausfällt. Sondern der Lohn, welcher in vielen Branchen noch immer nicht ausreichend angepasst wird. So lautet zum Beispiel das Fazit von Verena Bentele (Sozialverband VdK Deutschland).

Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sollten sich demnach finanziell nicht in einer Situation wiederfinden müssen, in der ihre Arbeitskraft an Wert verliert – weil sie genauso gut ohne Job auskommen könnten.

Bürgergeld vs. Job: Es gilt, gut abzuwägen

Die Debatte ist brisant, die Gefühle gemischt und das Thema Bürgergeld besonders ernst für Arbeitnehmer, die über eine Kündigung nachdenken.

Das Dilemma: Obwohl die Leistungsbezieher, die nicht selbstverschuldet ihre Stelle verloren haben, hilfsbedürftig sind, führt eine Erhöhung der Leistungen zu Diskussionen. Je kleiner die finanzielle Lücke zwischen Geringverdienern und Bürgergeld-Empfängern werden wird, desto größer wird die Aufregung aufseiten derzeitiger Arbeitnehmer, die nur wenig verdienen.

Grundsätzlich ist jetzt Folgendes wichtig: Wer darüber nachdenkt, den Job zugunsten des Bürgergeldes aufzugeben, sollte gut abwägen. Die Arbeitslosigkeit ist möglicherweise nicht das, was derzeitige Arbeitnehmer sich vorstellen – auch wenn sie viel Zeit und Freizeit gewinnen.

Denn die Aufgabe des Jobs befreit vielleicht von einer Verpflichtung, aber nicht davon, eine andere Verpflichtung einzugehen. Wird diese nicht eingehalten, drohen Sanktionen. Dennoch ist das Gedankenspiel, endgültig zu kündigen, verständlich – und auch die Option, einen harten Job gegen die Beschäftigungslosigkeit einzutauschen.

Bildnachweis: ljubaphoto/istockphoto.com

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Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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