Potenzial: Viele Mitarbeiter haben es. Aber nicht jede Führungskraft fordert es. Der Fokus liegt zu oft auf vermeintlichen Schwachpunkten. Wie die Identifikation verborgener Fähigkeiten gelingt.

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Psychologe Carl Ransom Rogers zeichnete einst ein humanistisch-konstruktivistisches Menschenbild, welches bis heute Bedeutung hat: Der Mensch habe die Fähigkeit, so Rogers, sich zu entwickeln. Denn jeder verfüge über ein Wachstumspotenzial.

Führungspotenzial, Zukunftspotenzial, Machtpotenzial, Gesamtpotenzial – klären wir zunächst die Bedeutung von „Potenzial“: Es ist eine Art unausgeschöpftes Leistungsvermögen, das du besitzt. Schlummern spezielle Talente, Fähigkeiten oder Begabungen in dir, die noch nicht gefördert oder zu einer echten Kompetenz entwickelt worden sind, ist die Rede von Potenzial. In der Arbeitswelt wird die Förderung des Potenzials wichtiger, aber nicht jeder ist sich der individuellen Stärken der eigenen Mitarbeiter bewusst.

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Problem: Viele Arbeitgeber kennen ihre Mitarbeiter nicht gut genug

Eine Untersuchung der Forsway Group und Talentsoft, die unter dem Titel The Reskilling Revolution erschienen ist, hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Führungskräfte nicht wissen, was einzelne Teammitglieder auf dem Kasten haben. Sie sind sich ihrer Kompetenzen nicht bewusst und können so auch nicht wissen, welches Talent in ihnen schlummert.

Das kann ein großer Nachteil sein. In einer Welt, in der wir Zugang zu allerlei Informationen haben und optimal vernetzt sind, wird der Wettbewerb zunehmend schwieriger. Fachwissen allein genügt nicht mehr, um herauszustechen. Wenn Unternehmen erfolgreich sein wollen, sollten sie stattdessen wissen, welche Ressourcen und Potenziale sie besitzen – und das ist das individuelle Humankapital, welches gezielt gefördert werden kann. Die Sensibilisierung von Führungskräften im Hinblick darauf, genauer hinzuschauen und Potenziale zu erkennen, gewinnt daher an Bedeutung.

Spotlight on: Deshalb geraten Schwächen fälschlicherweise in den Fokus von Unternehmen

Ein weiteres Problem: Unternehmen konzentrieren sich oft zu sehr auf Schwächen von Mitarbeitern. Es verwundert nur wenig, stellen Schwächen doch eine Bedrohung für den Betrieb dar. Um sämtliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen, die den Erfolg einer Firma behindern könnten, liegt das Augenmerk deshalb auf vermeintliche Bedrohungen, um diese im besten Fall beseitigen zu können.

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Keine Frage – es ist wichtig und auch essenziell für Arbeitgeber, dass sie wissen, was nicht so gut läuft und wer in seiner Position weniger gut aufgehoben ist.

Der Fokus auf Schwachpunkte führt jedoch dazu, dass die Stärken in den Hintergrund geraten und das gesamte Profil verschwimmt. Dabei könnte gerade eine sorgfältige Analyse des Potenzials helfen, Probleme und Schwachpunkte im Unternehmen gut zu kompensieren. Denn ein erfolgreiches Team setzt sich nicht aus Mitarbeitern zusammen, die allesamt über ähnliche Stärken verfügen. Vielmehr geht es um die Unterschiede der jeweiligen Potenziale. Auf diese Weise kann es gelingen, Schwächen und Lücken erfolgreich auszugleichen und sich im Team zu ergänzen.

Potenzialanalyse: Rohdiamanten sollten geschliffen werden

Als Führungskraft bist du jetzt gefragt: Eine sorgfältige Potenzialanalyse deiner Mitarbeiter kann dabei helfen, die individuellen Stärken einzelner Personen besser kennenzulernen, sie zu fördern und in Zukunft das volle Potenzial zu entfalten. Das zukünftige Leistungsvermögen kann, wenn es richtig eingesetzt wird, dem Unternehmen zu mehr Erfolg verhelfen.

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Der Vorteil einer Potenzialanalyse: Talente können nicht nur extern, sondern intern identifiziert und für entsprechende Aufgaben eingesetzt werden. Besonders hilfreich ist das vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels.

Warum zum Beispiel sollte eine Rezeptionistin ihr Potenzial am Telefonhörer verschwenden, wenn sie doch viel eher in der Lage ist, das Team zu motivieren, empathisch zuzuhören und ihre Begabung für höhere Zwecke einzusetzen? Oder warum soll das Organisationstalent sich „nur“ um Routinetermine kümmern, wenn dieses viel mehr auf die Beine stellen und managen könnte?

Tipp: Der Mensch kann sich bekanntlich von seiner besten Seite zeigen und sein volles Potenzial ausschöpfen, wenn dieser so sein kann, wie er ist. Eine unterstützende, wertschätzende und sichere Umgebung ist hierfür wichtig. Kinder sind das beste Beispiel: Werden sie radikal in ihrer Autonomie eingegrenzt, haben sie wenig Raum, sich selbstständig auszuprobieren und ihr Potenzial zu entdecken.

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Hier kommen gängige Instrumente der Potenzialanalyse

#1: 360-Grad-Feedback:

Beim ersten Instrument für die Potenzialanalyse handelt es sich um eines, welches häufig genutzt wird, um Beschäftigte in Führungsposition zu beurteilen. Die Fähigkeiten und Stärken von Teamleitern und Führungskräften können so besser eingeschätzt werden. Der Name ist Programm: Oft wird das ganze Team zur jeweiligen Person befragt, aber auch diese gibt eine Selbsteinschätzung ab. Die Fremdeinschätzung mehrerer Personen hat häufig eine besondere Aussagekraft, da es nicht eine einzelne subjektive Einschätzung ist. Es ergibt sich vielmehr ein Gesamtbild aus mehreren Beurteilungen.

Lese-Tipp: Das effektivste 4-stufige Feedback-System für Führungskräfte und Unternehmer

#2: Persönlichkeits- und Leistungstest:

Wie flexibel ist ein bestimmter Mitarbeiter? Welchen Belastungen kann standgehalten werden? Wie steht es um die selbstständige Problemlösung? Ist jemand eher extrovertiert oder introvertiert?

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Lese-Tipp: „Ambivertiert“ – 7 Hinweise, dass du über die Erfolgseigenschaft verfügst

Diese und weitere Fragen können durch psychologische Persönlichkeits- und Leistungstests beantwortet werden. Sie helfen dabei, die individuellen Stärken von Mitarbeitern besser einzuschätzen. Erklärt das Team sich bereit, qualifizierte Tests durchzuführen, kann dieses Instrument besonders wertvoll sein, um Potenziale zu entdecken und im Hinblick auf Unternehmensaufgaben einzuordnen.

#3: Regelmäßige Gespräche:

Persönliche Gespräche sind nach wie vor unabdingbar, um das Leistungspotenzial von Mitarbeitern korrekt einschätzen zu können. Sie können zum Beispiel jedes halbe Jahr oder auch nur jährlich stattfinden und Hinweise auf Stärken und Potenziale geben, die uns beispielsweise bei einem Test entgehen.

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So erfahren Führungskräfte übrigens nicht nur, worin jemand begabt sein könnte, sondern auch, wie die jeweiligen Mitarbeiter zum Thema stehen: Existiert zum Beispiel eine grundsätzliche Bereitschaft, das Potenzial auszuschöpfen? Oder geht es Teammitgliedern eher so, dass sie innerhalb ihrer Komfortzone bleiben möchten, um Sicherheit zu genießen? Falls ja: Welche Maßnahmen wirken aus Sicht der Mitarbeiter ermutigend, um das volle Potenzial entfalten zu können? Anders formuliert: Was brauchen sie, um zu wachsen?

Nicht vergessen: Selbsteinschätzung von Mitarbeitern

Digitale Fragebögen zur Selbsteinschätzung können ebenfalls helfen, Potenziale zu erkennen. Vor allem für Mitarbeiter, die sich ihrer Stärken noch nicht ganz bewusst sind, ist das eine Möglichkeit, zu reflektieren. Der Vorteil: Wer eine Selbsteinschätzung vornimmt, ist in der Regel ungestört und muss sich auch nicht während eines Gesprächs „beweisen“ oder sich beobachtet fühlen. Die ungestörte Atmosphäre kann ermutigend wirken und unentdeckte, schlummernde Talente zum Vorschein bringen.

Unser Zusatztipp für Führungskräfte

Herausforderungen und Verantwortung können uns an unsere Belastungsgrenzen bringen. Aber schwierige Situationen zeigen oft am besten, welches Potenzial in uns steckt. So wie Kinder eine persönliche Spielwiese benötigen, um Dinge ausprobieren zu können und Neues an sich zu entdecken, brauchen auch Erwachsene einen gewissen Gestaltungsspielraum.

In der Praxis können das neue Aufgaben sein, die in die Arbeitsroutine integriert werden. Arbeitgeber können auf diese Weise testen, wie mit neuen Problemen umgegangen wird – oder ob sich zum Beispiel nichts an der Art und Weise, Herausforderungen zu lösen, ändert.

Wichtig: Nur übertreiben sollten es Führungskräfte nicht. Denn das kann Mitarbeiter vergraulen, überfordern und bis an ihre Grenzen führen. Ein offenes Gespräch darüber, was Angestellte sich zutrauen, kann unterstützend wirken, um Aufgaben und Projekte zur besseren Potenzialeinschätzung entsprechend zu verteilen.

Bildnachweis: LightFieldStudios/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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