Viele Menschen haben Schwierigkeiten damit, die Frage zu beantworten, ob sie eher introvertiert oder extrovertiert veranlagt sind. Vielleicht kennst du das selbst: Unter Freunden und Bekannten trittst du selbstbewusst auf und gehst offen auf neue Menschen zu. Doch im Berufsleben bist du plötzlich schüchtern und froh, wenn du dich bei Meetings & Co ruhig verhalten kannst und nicht auffallen (musst). Die Einteilung von Menschen in entweder die Kategorie Extraversion oder die Kategorie Introversion ist völlig veraltet. Stattdessen macht der Modebegriff „ambivertiert“ momentan die Runde. Aber was steckt dahinter? Welche Vorteile hat die „Ambiversion“? Und verfügst du über diese? Wir verraten es dir!

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Der Mythos um Extraversion und Introversion

In unserer deutschen Gesellschaft geht das Gerücht um, extrovertierte Menschen seien im Berufsleben erfolgreicher. Die Extraversion als Persönlichkeitseigenschaft wurde im Jahr 1921 zum ersten Mal vom Psychoanalytiker Carl Jung beschrieben. Ihren Gegenpart nannte er Introversion. Im Laufe der Jahre wurde das Entweder-oder aber zu einem Sowohl-als-auch. Der Psychologe Hans Jürgen Eysenck erweiterte das Modell Jungs um zahlreiche verschiedene Abstufungen zwischen Introversion und Extraversion. Er beschrieb extrovertierte Menschen als

  • impulsiv,
  • gesellig,
  • offenherzig,
  • wagemutig sowie
  • ausdruckstark.

Sie haben häufig eine geradezu magische Wirkung auf ihr soziales Umfeld, ziehen gerne und viel Aufmerksamkeit auf sich und leben sehr im Außen. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge, verfügen über ein großes Selbstbewusstsein und können in Rekordschnelle Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen aufbauen. Anders bei introvertierten Menschen, welche laut Eysenck eher

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  • schüchtern,
  • in sich gekehrt,
  • scheu und
  • misstrauisch sind.

(Quelle: Psychomeda)

Sehr introvertierte Menschen werden auf den ersten Blick häufig als weniger sympathisch und charismatisch wahrgenommen und tatsächlich kann es vorkommen, dass sie sich aufgrund ihrer Schüchternheit zum Beispiel in Vorstellungsgesprächen deutlich schwerer tun als ihre extrovertierten Konkurrenten.

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In Extremfällen geht die Introversion mit sozialen Phobien einher. Das bedeutet aber keinesfalls, dass alle introvertierten Menschen unter Ängsten leiden und ebenso wenig, dass die Extraversion die „bessere“ Persönlichkeitseigenschaft sei. Diese geht nämlich ebenfalls in Extremfällen meist mit einer Persönlichkeitsstörung einher – beispielsweise dem Narzissmus. Deshalb wird bei einem Blick in die deutschen Führungsetagen schnell der Eindruck erweckt, Extraversion sei eine wichtige Erfolgseigenschaft. In Wahrheit ist es aber leider der Narzissmus selbst oder sogar eine Psychopathie, welche für den Erfolg dieser Persönlichkeiten sorgen. Mehr Informationen hierzu findest du im Artikel:

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Zum heutigen Stand der Forschung vermuten die Wissenschaftler, dass die Veranlagung zur Extraversion oder Introversion einerseits biologische und andererseits genetische Ursachen hat. Sie zählen den Grad der Extraversion zu den sogenannten Big Five – sprich den Hauptdimensionen der menschlichen Persönlichkeit – neben

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  1. der Aufgeschlossenheit,
  2. Rücksichtnahme,
  3. Labilität und
  4. dem Perfektionismus.

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Was ist also besser: Introversion oder Extraversion?

Eine Antwort auf die ewige Frage, welche der beiden Persönlichkeitseigenschaften nun eigentlich „besser“ sei, wird es wohl niemals geben. Jede mag in spezifischen Situationen einen Vorteil oder auch einen Nachteil bedeuten. Zudem hat bereits Eysenck richtig erkannt, dass kein Mensch auf der Welt wohl „nur“ extrovertiert oder „nur“ introvertiert ist. Es handelt sich stattdessen um zwei Extreme auf einer Skala und jede individuelle Persönlichkeit liegt irgendwo dazwischen. Doch auch dieser Wert ist alles andere als statisch. Stattdessen taucht neuerdings immer häufiger der Begriff der Ambiversion auf:

A condition or character trait that includes elements of both introversion and extroversion.

(Quelle: Collins Dictionary)

Der Großteil der Menschen ist also nicht entweder extrovertiert oder introvertiert. Und er ist auch nicht irgendeine Mischung daraus, sondern schlichtweg sowohl als auch. Das bedeutet: Du bist vielleicht allgemein auf der Skala näher an der Extraversion, treten aber in gewissen Situation dennoch äußerst introvertiert auf. Unter Alkohol wirst du hingegen extrem extrovertiert und am nächsten Tag bist du aufgrund deiner Müdigkeit – und des Katers – wieder eher in dich gekehrt. Auch diese Ambiversion ist bei einigen Menschen stärker und bei anderen schwächer ausgeprägt. Während die meisten Menschen also tatsächlich eher extrovertiert oder eher introvertiert sind und nur leichte Schwankungen aufweisen, pendeln andere zwischen den Extremen. Warum aber ist eine solche Ambiversion tatsächlich die „beste“ Persönlichkeitseigenschaft – zumindest im Job?

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Wieso sind ambivertierte Menschen erfolgreicher?

Ganz einfach: Ambiversion bedeutet einen hohen Grad an Anpassungsfähigkeit und der kommt Ihnen im Berufsleben zugute. Je schneller und besser du dich angemessen in eine Situation einfügen kannst, umso professioneller tretest du auf. Du knüpfst durch deine Extraversion einerseits wichtige Kontakte, die für deine Karriere förderlich sein können, trittst durch deine Introversion aber auch höflich und zurückhaltend auf, wenn es darauf ankommt. Du passst dich schlichtweg in jeder Situation an die „Herde“ an – und weshalb sich das positiv auf deine Karriere auswirkt, kannst du in folgendem Artikel nachlesen:

Lese-Tipp: Wer Chef werden will, muss zur „Herde“ passen

Ambivertierte Menschen zeichnen sich also durch einen hohen Grad an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität aus. Sie können sich auf ihr soziales Umfeld einstimmen und dadurch stets angemessen auftreten. Dies erleichtert das Knüpfen von Kontakten – was ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Karrierefaktor ist.

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Wie bereits erwähnt, kann die Fähigkeit zur Extraversion bei Vorstellungsgesprächen oder im Rahmen einer Führungstätigkeit zuträglich sein. Dennoch treten ambivertierte nicht wie beispielsweise Narzissten stets übertrieben selbstbewusst und beinahe selbstdarstellerisch auf. Dadurch laufen sie nicht Gefahr, sich ein Image als Angeber oder „Dummschwätzer“ einzuheimsen. Alles in allem verfügen ambivertierte Menschen also meist über bessere soziale Kompetenzen – denn sie können optimal einschätzen, in welcher Situation Extraversion angebracht ist und in welcher Introversion.

Bist du ambivertiert? Sieben Hinweise auf eine Ambiversion

Da eine Ambiversion ebenso wie die Extraversion und Introversion genetisch beziehungsweise biologisch veranlagt ist, kann sie nicht erlernt werden. Zwar kannst du als introvertierter Mensch an deinen sozialen Kompetenzen arbeiten oder dich als extrovertierter Mensch in Zurückhaltung üben, doch prinzipiell ist deine Veranlagung unabänderlich. Wenn du nun also wissen möchtest, ob auch du eine ambivertierte Persönlichkeit bist, stelle dir folgende sieben Fragen:

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  1. Kannst du dich selbst einordnen? Wenn du spontan sagen würdest, dass du ein extrovertierter beziehungsweise introvertierter Mensch bist, stimmt das in der Regel auch. Ambivertierte Personen haben hingegen häufig Probleme damit, sich selbst einzuordnen. Es gibt Tage, an welchen sie am liebsten in Menschenmassen baden – und andere, an denen es für sie nichts Schöneres gibt als einen einsamen Sofatag mit der Lieblingsserie. Unter Freunden und Bekannten bist du vielleicht die lauteste und auffälligste Person der Runde und unter Fremden plötzlich still und in dich gekehrt. Wenn du dich in diesen Beschreibungen wiederfindest, bist du mit hoher Wahrscheinlichkeit ambivertiert.
  2. Denkst du viel über dich selbst und dein soziales Umfeld nach? Ambivertierte Menschen haben häufig ein großes Verständnis für soziale Situationen. Nach dem Zusammentreffen mit einer Freundin denken sie noch lange darüber nach, dass diese irgendwie traurig gewirkt hat. Bevor sie auf ein Konzert gehen, machen sie sich Gedanken darüber, wer dafür die passende Begleitung sein könnte und in einer großen Runde gehen sie stark in die Selbstreflexion und achten darauf, wie sie von ihrem Gegenüber wahrgenommen werden. Sie können ihr Verhalten dementsprechend so anpassen, dass sie auf beinahe jeden sympathisch wirken – sei es auf eine extrovertierte oder zurückhaltende Art und Weise. Gehören Sie also eher zu den „Denkern“ als zu den Personen, die ihr Herz auf der Zunge tragen? Dann bist du vermutlich ambivertiert.
  3. Kannst du gut und gerne alleine sein? Extrovertierten Menschen fällt schnell die Decke auf den Kopf, wenn sie Zeit alleine verbringen. Also packen sie ihre Tasche und gehen ins Fitnessstudio, verabreden sich mit dem Kumpel auf ein Bier oder suchen im Job das Gespräch mit Kollegen in der Kaffeeküche. Wenn du hingegen kein Problem damit hast, auch mal einen Abend alleine zu verbringen oder im Job selbstständig an einer Aufgabe zu arbeiten, ohne dich dabei von Hinz und Kunz ablenken zu lassen, könnte das ein Hinweis auf eine Ambiversion sein.
  4. Scheust du aber auch nicht die Gesellschaft von (vielen) anderen Menschen? Dieser Punkt trifft vor allem in Kombination mit dem dritten zu. Wenn du zwar gut und gerne alleine sein kannst, ebenso aber die Gesellschaft anderer Personen genießt, bist du vermutlich ambivertiert. Du würdest dich durchaus als Teamplayer bezeichnen, verstehst dich mit den (meisten) Kolleginnen und Kollegen gut und pflegst auch im Privatleben viele Freundschaften. Du hast kein Problem damit, unter Menschen zu gehen – selbst, wenn es sehr viele sind, wie beispielsweise bei einem Konzert oder einer Firmenfeier. Die Menschenmassen machen dir nichts aus, während sie introvertierten Menschen hingegen meist viel Energie rauben, ja bei ihnen sogar eine Art „Kater“ verursachen können.
  5. Erhältst du immer wieder die Rückmeldung, sympathisch zu sein? Erhältst du immer wieder direkt oder indirekt die Rückmeldung, auf fremde Menschen besonders sympathisch zu wirken? Dann hast du mit hoher Wahrscheinlichkeit ambivertierte Züge, denn eine solch positive Wahrnehmung spricht dafür, dass du dich optimal auf soziale Situationen einlassen und an dein Gegenüber anpassen kannst. Vermutlich begibst du dich bei einem extrovertierten Gesprächspartner eher in die passive, sprich introvertierte Rolle und bei einem introvertierten Gegenpart übernimmst du hingegen die Gesprächsführung. In dieser Beschreibung findest du dich wieder? Dann deutet das auf eine Ambiversion hin!
  6. Brauchst du aber dennoch Zeit, um Vertrauen aufzubauen? Obwohl du mit fremden Menschen schnell warm wirst und leicht neue Freundschaften knüpfst, nimmst du dir ausreichend Zeit, um dein Gegenüber kennenzulernen und richtig einzuschätzen. Du fasst nicht innerhalb weniger Minuten Vertrauen zu einer Person, lässt aber dennoch ein unvoreingenommenes Kennenlernen zu, ohne dich übertrieben verschlossen beziehungsweise misstrauisch zu geben. Sollte das der Fall sein, hast du dank deiner Ambiversion vermutlich das richtige Maß aus Extraversion und Introversion gefunden.
  7. Hast du feine „Antennen“ für soziale Situationen? Überhaupt würdest du dich selbst als Menschen beschreiben, der nur selten in soziale Konflikte gerät. Wieso? Weil du dich optimal an soziale Situationen anpassen kannst und mit beinahe jeder Person relativ gut klarkommst. Du fällst dadurch nicht negativ auf und fungierst eher als Schlichter, wenn es zum Streit kommt. Du kannst dich gut in andere Menschen hineinfühlen und weißt, wann du an deiner Meinung festhalten und wann lieber schweigen solltest. Dieser letzte Punkt erklärt auch, weshalb ambivertierte Mitarbeiter für Unternehmen so wertvoll sind – und warum diese beste Karrierechancen genießen.

Wie würdest du dich selbst einstufen? Welchen Vorteil haben ambivertierte Menschen deiner Meinung nach? Oder hältst du stattdessen die Extraversion beziehungsweise Introversion für „besser“ – und weshalb? Wir sind gespannt auf deinen Beitrag zum Thema in den Kommentaren!

Bildnachweis: Photo by Rokas Niparavicius on unsplash.com