Wie „richtiges“ Zuhören funktioniert, beschreibt ein echter Klassiker der Kommunikationstheorie – das „Vier-Ohren-Modell“ – welcher leider immer mehr in Vergessenheit gerät.

Viele Menschen hören nicht einmal mit zwei Ohren zu

Immer mehr Menschen jagen also ihren individuellen (Karriere-) Zielen oder materiellen Werten nach. Sie sind stets im Stress, dank Smartphone & Co dem Multitasking verfallen und – wenn sie einmal ehrlich zu sich selbst wären – eigentlich vollkommen vereinsamt. Die zunehmende Entfremdung von sich selbst führt nämlich auch dazu, sich nicht mehr auf ein Gegenüber einlassen zu können. Für ehrliche menschliche Beziehungen bleibt schlichtweg keine Zeit mehr – oder keine Energie. Denn eine tiefe Bindung zu einem Menschen aufzubauen, sei sie beruflicher, privater oder sogar liebender Art, braucht in erster Linie Kommunikation. Kein Wunder, dass viele Arbeitgeber vor allem nach Arbeitnehmern mit einer hohen Kommunikationsfähigkeit suchen, denn diese ist zu einem seltenen Gut geworden.

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Deine Kommunikationsfähigkeit zu üben, kommt aber nicht nur Deiner Karriere zugute, sondern auch Deinem Sozialleben im Allgemeinen. Dein Gegenüber wird es nämlich merken, wenn Du wirklich zuhörst und das Gesagte zu verstehen versuchst. Eine Seltenheit, welche Dich direkt sympathisch macht und dadurch auch garantiert beliebter.

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Viele Menschen hören nicht einmal mit ihren zwei Ohren richtig zu. Sie schweifen stattdessen mit ihren Gedanken ab oder denken darüber nach, was sie als Nächstes sagen möchten. Wenn Du also Deinem Gesprächspartner Deine Aufmerksamkeit schenkst, ist das bereits eine echte Rarität in unserer heutigen Zeit. Doch wusstest Du, dass Du gemäß Kommunikationstheorie nicht nur mit zwei, sondern sogar mit vier Ohren zuhören solltest? Was es damit auf sich hat, möchten wir Dir folgend verraten.

Vier-Seiten-Modell: Warum jeder Mensch vier Ohren haben sollte

Es handelt sich um das sogenannte Vier-Seiten-Modell, auch bekannt als Vier-Ohren-Modell oder Kommunikationsquadrat. Der im Jahr 1944 geborene deutsche Psychologe Friedemann Schulz von Thun entwickelte diese Theorie im Rahmen seiner Tätigkeit als Autor, Professor und Coach. Das Vier-Ohren-Modell obliegt der Annahme, jede Äußerung eines Menschen könne auf vier verschiedene Art und Weisen interpretiert werden. Einerseits verpackt der Sender in seiner Nachricht also vier unterschiedliche Informationen. Andererseits neigt auch der Empfänger dazu, diese auf vier verschiedenen Wegen zu interpretieren. Dadurch entstehen nicht nur im Berufsleben allerhand Missverständnisse. Die „vier Ohren“ sind im Modell:

  1. Das „blaue“ Ohr auf der Sachebene, welches die geäußerten Daten und Fakten objektiv aufnimmt sowie interpretiert.
  2. Das „grüne“ Ohr der Selbstoffenbarung, welches das Gesagte als eine persönliche Botschaft des Senders auffasst.
  3. Das „gelbe“ Ohr der Beziehungsebene, welches das Gesagte abhängig von der Beziehung zwischen Sender und Empfänger interpretiert.
  4. Das „rote“ Ohr als Appell, welches die Aussage des Senders als Aufforderung annimmt.

Wie bereits erwähnt, können sich der Sender und der Empfänger auf verschiedenen Ebenen beziehungsweise „Ohren“ bewegen. Während der Sender also vielleicht eine reine Sachinformation weitergibt, interpretiert der Empfänger diese als Aufforderung. Da sind Konflikte geradezu vorprogrammiert. Zum besseren Verständnis ein kurzes Beispiel. Nehmen wir an, der Sender sagt:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember.

Wie könnte der Empfänger diese Nachricht nun gemäß der vier verschiedenen Ohren interpretieren?

Fall 1: Blaues Ohr – Sachebene

Eine Aussage enthält in der Regel eine Sachinformation. Es geht also darum, das wortwörtlich Gesagte als solches zu verstehen und auf neutrale, objektive und sachliche Art und Weise zu interpretieren – beziehungsweise überhaupt nicht. Auf den ersten Blick klingt dieses blaue Ohr als das „beste“ Ohr. Schließlich ist es frei von Missverständnissen und falschen Interpretationen. Das wäre es auch, würde der Sprecher stets auf der Sachebene agieren. Dann würde er tatsächlich die Information zur Deadline durchgeben und der Empfänger würde eben das verstehen:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember.

Was aber, wenn der Sender der Nachricht tatsächlich eine tieferliegende Botschaft senden möchte, wie:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Das wird langsam knapp, deshalb müssen wir uns beeilen.

Wenn der Empfänger dann nur mit dem Kopf nickt und sich anschließend wieder einer anderen Aufgabe widmet, entsteht daraus schnell ein Konflikt. Es gibt daher keine „besseren“ oder „schlechteren“ beziehungsweise „richtigen“ oder „falschen“ Ohren.

Fall 2: Grünes Ohr – Selbstoffenbarung

Nehmen wir die Selbstoffenbarung genauer unter die Lupe. Jeder Mensch sendet und empfängt mit dem Gesagten auch eine persönliche Information. Du sprichst zum Beispiel nur über Dinge, welche für Dich Relevanz haben. Daraus lässt sich ableiten, wo Deine Interessen liegen und wo nicht. Gleichzeitig gibst Du Emotionen, Meinungen oder Wünsche preis. Vielleicht verurteilst Du andere Menschen für deren Taten oder Du fühlst Dich schnell gekränkt. All das sind ganz individuelle Züge Deiner Persönlichkeit, welche sich durch Deine Kommunikation wie ein Puzzle zusammensetzen. Und eben diese Eigenheiten Deines Charakters bestimmen auch darüber, wie Du eine Konversation interpretierst. Nehmen wir an, Du bist ein Mensch, der unter Versagensängsten leidet und sich schnell unter Druck gesetzt fühlt. Du würdest im genannten Beispiel auf dem grünen Ohr verstehen:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Sie arbeiten zu langsam. Wenn Sie sich nicht anstrengen und die Deadline einhalten, ist Ihr Job in Gefahr.

Der Sender der Botschaft ist aber vielleicht ganz zufrieden mit Ihrer Arbeit. Er ist hingegen ein Mensch, der Konflikten gerne aus dem Weg geht und stets als Mediator eingreifen möchte. Er meinte daher:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Es gibt keinen Grund, sich darüber zu streiten. Wir liegen doch alle gut in der Zeit und sollten uns daher wie ein Team verhalten.

Wenn Du also ab sofort genauer auf Deine Konversation achtest, kannst Du wichtige Erkenntnisse über die tieferliegende Persönlichkeit gewinnen – sei es bei Deinem Gegenüber oder bei Dir selbst.

Fall 3: Gelbes Ohr – Beziehungsebene

Viel lernen kannst Du auch über die Beziehungsebene der Gesprächspartner. Wie Du auf Aussagen reagierst und diese interpretierst, hängt stets von der „Vorgeschichte“ zwischen Dir und dem Gegenüber ab. So wirst Du deiner besten Freundin eine Aussage vielleicht nicht krumm nehmen, dafür aber Deinem untreuen Ex-Freund – einfach nur, weil Du zu der einen Person eine positive und zu der anderen eine negative Beziehung pflegst. In diesem Beispiel würdest Du auf dem gelben Ohr vielleicht folgendes verstehen, wenn die Beziehung zum Sender gut ist:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Klasse, dass Sie so gut in der Zeit liegen. Kann ich Sie vielleicht irgendwie unterstützen?

Ist Deine Beziehung hingegen negativ angehaucht und Du gehst davon aus, dass es der Sender mit Dir nicht allzu gut meint, interpretierst Du unter Umständen das Folgende:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. War ja klar, dass Sie das wieder nicht rechtzeitig schaffen. Offensichtlich sind Sie nicht einmal in der Lage, selbst die Deadline in Erfahrung zu bringen. Wusste ich doch, dass ich der bessere und klügere Mitarbeiter bin.

Der Sender ist Dir gegenüber vielleicht aber einfach neutral eingestellt und meinte die Nachricht wie folgt:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Ich finde es super, dass Sie bis jetzt so flott und zuverlässig gearbeitet haben. Bitte lassen Sie nun aber nicht nach, dann schaffen wir den Termin ohne Probleme.

Fall 4: Rotes Ohr – Appell

Das Wort „Bitte“ läutet das rote Ohr ein. Viele Menschen tragen Wünsche oder einen Appell nämlich nicht auf der Sachebene vor, sondern als versteckte Botschaft hinter ihrer Aussage. Wenn die Frau sich bei ihrem Partner beschwert, dass er „schon wieder“ zum Fußball geht, appelliert sie indirekt an ihn, doch lieber mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Menschen, die mit dem roten Ohr hören, gehen deshalb stets davon aus, dass hinter dem Gesagten eine Aufforderung steckt. In diesem Beispiel könnte diese sind:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Bitte beeilen Sie sich!

Der Sender könnte aber stattdessen gemeint haben:

Die Deadline für das Projekt XYZ ist am ersten Dezember. Es wäre deshalb jetzt an der Zeit, einen ersten Zwischenstand zu präsentieren. Ich warte auf entsprechende Informationen.

Mit vier Ohren hörst du besser – und mit vier Schnäbeln spricht es sich klarer

Du siehst: Zwischenmenschliche Kommunikation ist deutlich komplexer, als Du vielleicht angenommen hast. Selbst, wenn Du zu den Ausnahmen gehörst, die heutzutage überhaupt aufmerksam zuhören, bedeutet das noch lange nicht, dass Du das Gesagte richtig interpretierst. Ein klassisches Beispiel ist auch folgendes:

  • Sachebene: Die Ampel ist grün.
  • Selbstoffenbarung: Ich habe es sehr eilig.
  • Beziehung: Ich bin dir überlegen.
  • Appell: Fahr jetzt los!

In den meisten Fällen spricht ein Mensch nicht nur auf einer, sondern gleich auf mehreren Ebenen. Gleichzeitig hört und versteht der Empfänger mit verschiedenen Ohren. So entsteht schnell ein Wirrwarr aus Missverständnissen, unterschwelligen Botschaften und Fehlinterpretationen, die zu Konflikten führen können. Macht Dein Chef Dich beispielsweise fünf Mal darauf aufmerksam, dass Du zu spät bist und Du antwortest jedes Mal nur auf der Sachebene mit „Stimmt“, könnte er mit der Zeit sehr wütend werden. Er wünscht sich nämlich eine Entschuldigung Deinerseits sowie das Versprechen, in Zukunft mehr auf Ihre Pünktlichkeit zu achten. Übe Dich also ab sofort darin, Deine Interpretationen des Gesagten auf deren Richtigkeit zu überprüfen – und Dich selbst möglichst deutlich auszudrücken, indem Du einen „Schnabel“ bewusst wählst, ohne Andeutungen, unterschwellige Appelle & Co.

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