Zu viele Fehler frustrieren. Null Fehler bieten keinen Lernerfolg. Der Sweet Spot liegt wie so oft in der Mitte.

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Was wir brauchen, um aus Fehlern zu lernen

Eine heikle Frage, die Unternehmen und Mitarbeiter spalten dürfte: Wie viele Fehler sind tolerierbar, um einen effizienten Lernerfolg feststellen zu können?

Um Produktivität zu fördern und um Produkte und Dienstleistungen zu verbessern, sind Mitarbeiter und Teams auf Innovation, konstruktive Kritik und Wachstum angewiesen. Dies aber funktioniert nur, wenn Fehler erlaubt sind. Denn bekanntlich lernt der Mensch (und auch das Tier) eher aus Fehlern als aus Erfolgen.

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Auch wissenschaftlich ist nachgewiesen: In unserem Gehirn tut sich etwas, wenn wir Fehler registrieren. Vor allem Situationen, in denen wir plötzlich reagieren müssten, weil wir überrascht seien, ließen unser „Frühwarnsystem“ im Gehirn anspringen, so Andy Wills von der University of Exeter, welcher seinen Studierenden die Wissenschaft der Psychologie näherbringt.

Wills und sein Forschungsteam seien überrascht gewesen, als sie in einer Reihe von Untersuchungen bei Probanden Gehirnaktivitäten in dem Moment feststellten, als diese einen begangenen Fehler erkannten, so der Psychologe. Dies deutet darauf hin, dass das Gehirn gerade dazulernt und hierfür neue neuronale Verknüpfungen geschaffen werden.

Daraus lässt sich schließen: Fehler müssen nicht nur gemacht, sondern auch erkannt werden, um sich einen Lernerfolg sichern zu können.

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Durch die systematische Vertuschung von Fehlern, ob auf Manager- oder Fachkräfteebene, bekommen viele Mitarbeiter und Unternehmen jedoch gar nicht erst die Chance, auf Fehlersuche zu gehen, Fehler nachzuvollziehen und einen solchen „Aha-Moment“ zu erleben, der notwendig ist, um lernen zu können.

EY-Studie zeigt: Die meisten Führungskräfte verbergen ihre Fehler

Vorbildfunktion in Sachen Fehlerkultur haben vor allem Führungskräfte. Aber die meisten scheitern, so eine aktuelle Studie des Unternehmens Ernst & Young (EY). Der Fehlerkultur-Report 2023 belegt beispielsweise, dass 82 Prozent der Führungspersonen, die heute in der Finanzbranche tätig sind, dazu tendieren, Fehler entweder komplett oder zum Teil zu vertuschen.

Rund 1.000 Arbeitnehmer und Führungskräfte haben in der EY-Studie ihr Urteil zum Thema Fehlerkultur abgegeben. 63 Prozent der Angestellten sind der Meinung, dass es wichtig sei, konstruktiv mit gemachten Fehlern umzugehen und die Verantwortung dafür zu tragen. Und auch Führungskräfte, an der Zahl waren es 50 Prozent, hießen laut Befragung Fehler willkommen, um überhaupt innovativ und wettbewerbsfähig bleiben zu können.

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Obwohl sich Vorgesetzte in der Arbeitswelt über die Wichtigkeit von Fehlern bewusst sind, begehen sie selbst den größten Fehler: Sie vertuschen sie.

Wie machen es die großen Unternehmen?

Die EY-Studie belegt, dass Unternehmen im Rahmen der New-Work-Kultur besonders davon profitiert, einen transparenten und konstruktiven Umgang mit Fehlern zu finden. Heute zeigt sich, dass Dienstleister auch Kundinnen und Kunden mit in ihren Lernprozess einbeziehen können und sogar müssen, um ihren Service zu verbessern, innovativer zu werden und als Unternehmen zu wachsen. Nicht das Vertuschen von Fehlern ist deshalb gefragt, sondern Abstand zu nehmen von der Erwartung, perfekt zu sein.

Auf Perfektion setzt auch das Unternehmen Netflix nicht: Wer beim Streaming-Giganten schon einmal auf einen Button geklickt hat, der lediglich auf eine Seite mit einer Fehlermeldung führt und auf mysteriöse Weise bald auch wieder verschwindet, sollte sich nicht wundern. Denn das Unternehmen wendet als eines von vielen erfolgreichen Unternehmen die Konzepte „Learning by Doing“ und „failing fast“ an, um das Nutzerverhalten zu analysieren, die Dienstleistung zu verbessern und hierfür offen mit Fehlern umzugehen. Denn sie tun nicht anderes, als auszuprobieren – und Ausprobieren dürfen setzt eine offene Fehlerkultur voraus. Kritik im frühen Prozess einer Neuentwicklung gehört zum Verbesserungsprozess dazu.

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Zugegeben, auch bei Riesen wie Netflix, Google und Amazon hapert es mit Sicherheit hier und da in Sachen Unternehmenskultur, Fehlermentalität und Mitarbeiterzufriedenheit. Dennoch hat sich vor allem in der Tech-Branche das Prinzip „fail forward and fast“ durchgesetzt. Wer mit Daten arbeitet, testet in sogenannten „A/B-Tests“ bereits vor der eigentlichen Veröffentlichung, wie Varianten eines Modells beim User ankommen. Fehler dürfen passieren. Das Feedback hilft, sich stetig zu verbessern.

Fail forward and fast: Ein Konzept, um aus Fehlern das Beste zu machen

„Fail forward“ lässt sich in etwa mit dem „vorwärts Scheitern“ übersetzen. Gemeint ist ein fehlertolerantes Arbeiten. Ergänzt wird das Konzept mit dem „schnellen Scheitern“, dem „failing fast“, was sich ebenfalls auf die Testkultur im New Normal bezieht und beschreibt, dass schnelles und frühes Scheitern im Prozess dazu beitragen kann, effizient zu lernen und innovativ zu bleiben. Je schneller ehrliches Feedback erfolgt, desto besser.

Die Konzepte, die vor allem in schnell wachsenden und jungen Unternehmen Anwendung finden, stehen der konservativen Fehlerkultur in etablierten Unternehmen entgegen. Denn es ist allseits bekannt, dass Fehler über Jahre hinweg – und auch heute noch – in vielen Branchen als etwas angesehen werden, das nicht willkommen ist. Durch diese Art von Fehlermentalität, die nicht nur in der Arbeitswelt, sondern generell auch in Familiensystemen weit verbreitet ist, werden Fehler als unerwünscht, ja gar als „böse“ angesehen. Sie sind rufschädigend, demütigend, schambehaftet.

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Die Normalisierung von Fehlern und der Trend dahingehend, sie wertfreier wahrzunehmen, ist deshalb auch ein Erfolg. Vor allem Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle und sollten, wenn nicht schon geschehen, sich für eine offene, transparente Fehlerkultur einsetzen.

Wie können Führungskräfte Fehler normalisieren?

Eine Fehlerkultur, die Scham, Schuldgefühle und Ängste fördert, sollte der Vergangenheit angehören. Stattdessen ist es an der Zeit, dass Führungskräfte Fehler richtungsweisend als Teil des Lernerfolgs sehen und sie in ihre Arbeit integrieren.

1. Die Arbeit beginnt bei uns selbst

Führungskräfte können von ihren Teams keinen offenen Umgang mit Fehlern verlangen, wenn sie selbst nicht bereit sind, Verantwortung für eigene Fehler zu tragen. Die Arbeit beginnt deshalb stets bei uns selbst: Wer seine Missgeschicke zugeben kann, hat bereits einen wichtigen Schritt getan, um das Tabuthema Fehler wieder „gesellschaftsfähig“ zu machen.

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2. Fehler zulassen, aber auch helfen

Passieren gar keine Fehler, wird kein Lernerfolg eintreten, weshalb Mitarbeiter darin bestärkt werden sollten, eigene Wege zu gehen und Neues auszuprobieren. Zu viele Fehler hingegen können auch die Motivation killen, was bedeutet, dass Hilfestellung statt Vorwürfe ebenfalls notwendig ist, wenn Prozesse in Stocken geraten.

Kurz: Es ist Balance gefragt, um eine Art Sweet Spot zu finden. Dieser liegt zumeist in der Mitte, einem Ort, an dem Fehler und Erfolge sich treffen, um effizient zu lernen.

Aufgabe von Vorgesetzten ist deshalb, einen offenen Umgang mit Fehlern vorzuleben und gleichzeitig zu zeigen, wie es gelingt, sie nicht zu wiederholen. Und dies kann nur erreicht werden, wenn Fehler nicht vertuscht, sondern vorwurfsfrei auf den Tisch kommen und analysiert werden.

3. Sachliches Feedback ist das A und O

Wer ohne Schuld und Vorwürfe arbeitet, ist in der Lage, Feedback konstruktiv und sachlich zu geben. Eine Fähigkeit, die unbedingt notwendig ist, um eine moderne und gesunde Fehlerkultur in Unternehmen etablieren zu können.

Ehrliche, nachvollziehbare Rückmeldungen werden hierbei nicht von Drohungen begleitet, sondern sind lösungsorientiert und geben Mitarbeitern die Chance und die Motivation, es beim nächsten Mal anders und besser zu machen – und vor allem einen Lernerfolg festzustellen.

Bild: FG Trade/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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