Wir tun es andauernd. Vor allem in unbeobachteten Situationen: Selbstgespräche führen. Das steckt hinter dem inneren Monolog.

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Selbstgespräche: Sind sie normal oder völlig bizarr?

Wir selbst sind unser vertrautester Gesprächspartner. Rund 96 Prozent der Erwachsenen sollen Selbstgespräche führen, sagt Psychologin Dr. Julia Haneveld. Schon im Kindesalter beginnt der innere Monolog. Die Forschung nennt es „Autokommunikation“.

Obwohl Selbstgespräche häufig als verrückt bezeichnet werden, sind sie natürlich. In Ausnahmefällen können sie auf eine psychische Störung hindeuten. Das pathologische Stimmenhören bei Selbstgesprächen, das Gehörte als fremd einordnen – das können entscheidende Hinweise sein, um festzustellen, dass Selbstgespräche krankhaft sind, so Psychiater Peter Falkai, Präsident der European Psychiatric Association (EPA).

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Ansonsten tun wir es aber andauernd: Morgens, wenn wir das Haus verlassen und hektisch unsere Schlüssel suchen, reden wir leise vor uns hin. Oder im Auto. Oder wenn wir uns nicht entscheiden können, ob es Pizza oder Pasta werden soll. Einige von uns sprechen ihre Gedanken laut aus. Andere führen den Monolog im Stillen, nur in Gedanken, ohne das Gedachte zu verbalisieren. Selbstgespräche finden demnach nicht immer laut statt. Auch wenn das nach außen hin Leise im Inneren manchmal ein Geschrei sein kann.

Warum führen wir Selbstgespräche?

Das Selbstgespräch hat seine Daseinsberechtigung, weil es nachweislich bedeutende Funktionen erfüllt. Wie das Gespräch mit uns selbst allerdings ausfällt, hänge stark mit unseren Prägungen zusammen, so Haneveld. Selbstsichere Personen nutzen es zum Beispiel, um sich aufzubauen, während Menschen mit negativen Kindheitsprägungen es verwenden könnten, um sich selbst zu sabotieren oder um sich zu kritisieren.

US-Psychologe Thomas M. Brinthaupt und Kollegen haben in ihren Forschungen zum Thema Selbstgespräch einige interessante Erkenntnisse zusammengetragen. Demnach erfüllen die Gespräche mit uns selbst folgende Funktionen:

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1. Social Assessment: Wir bereiten uns mit der Hilfe von Selbstgesprächen auf komplizierte Situationen mit anderen Menschen (soziale Situation) vor. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass wir uns auf einen Konflikt gefasst machen.

Möglicher Inhalt: „Dem werde ich es aber ordentlich zeigen!“

2. Self-Management: Organisierende Selbstgespräche führen wir täglich. Sie helfen uns bei der Planung.

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Möglicher Inhalt: „Okay. Jetzt nur noch die Schuhe anziehen. Ah! Brauche ich noch einen Regenschirm? Sicher ist sicher.“

3. Self-Reinforcment: Ein motivierendes Selbstgespräch kann dabei helfen, schwierige Situationen durchzuhalten. Ob vor einer Präsentation, während eines Wettkampfes oder vor den Gehaltsverhandlungen – ein Gespräch mit uns selbst wird nun Kraft schenken und beruhigen.

Möglicher Inhalt: „Das schaffe ich schon. Ich bin gut vorbereitet!“

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4. Self-Criticism: Auch negative Selbstgespräche führen wir manchmal. Sie können, wenn wir es übertreiben, vernichtend sein, denn unsere selbstkritische Stimme ist oft besonders laut und dominant. Sie spiegelt unsere Glaubenssätze.

Möglicher Inhalt: „Das kann auch nur mir passieren. Ich bin einfach zu blöd dafür.“

Wann führen wir Selbstgespräche?

In unbeobachteten Situationen sollen Selbstgespräche besonders häufig vorkommen. Aber auch in Stresssituationen fangen wir an, innere Monologe – ob laut oder nur gedanklich – zu führen. Denn die Gedankenstrukturierung gelingt am ehesten, wenn wir chaotische Gedanken festhalten, benennen, einordnen. Belastende Ereignisse können auf diese Weise oft besser verarbeitet werden: Dank des Selbstgesprächs werden schmerzhafte Gefühle nicht verbarrikadiert, sondern thematisiert. Auch emotional aufgeladene Momente, in denen wir nicht wissen, was wir mit überfordernden Gedankenströmen machen können, finden einen Platz im inneren Gespräch.

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Übrigens: Es wird davon ausgegangen, dass Selbstgespräche dabei helfen, sich Informationen besser zu merken. Vor allem bei Kindern, die in Gedanken vertieft die Welt um sich herum entdecken, kann dies beobachtet werden. Der Lerneffekt soll vor allem bei laut ausgesprochenen Gedanken auftreten und weniger bei nicht-verbalisierten Gedanken.

Stress reduzieren mit der Hilfe von Selbstgesprächen: Wie geht das?

Psychologische Forscher konnten in ihren Untersuchungen einen wichtigen Ansatz benennen, der möglicherweise dazu führt, dass wir mit der Hilfe von Selbstgesprächen emotionalen Stress reduzieren können.

Die Ergebnisse zeigen: Wer sich selbst in dritter Person anspricht, kann mit höherer Wahrscheinlichkeit eine größere emotionale Distanz aufbauen. Das klingt zunächst etwas skurril, zumal vor allem Menschen, die in dritter Person von sich selbst sprechen, häufiger skeptisch beäugt werden. Dennoch soll es helfen, wenn wir zum Beispiel sagen: „Warum regt es Maria so sehr auf?“. Und nicht: „Warum regt es mich so sehr auf?“

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Belegt werden konnte dieser Ansatz mit der Messung von Hirnaktivitäten: Teilnehmer, die sich in erster Person ansprachen, waren emotional erregter als die, die es in dritter Person taten. Es ist davon auszugehen, dass die Ansprache mit Namen statt mit einem „Ich“ deshalb Gedanken, Reflexionen und Entscheidungen mit einem verhältnismäßig klaren Kopf zulässt.

Um mit der Hilfe von Selbstgesprächen Stress zu reduzieren, aber auch weitere Vorteile aus dem inneren Monolog zu ziehen, gibt es noch weitere Möglichkeiten:

1. Achtsamkeit mit Worten, die wir an uns selbst richten, trainieren

Vor allem in negativen Selbstgesprächen neigen wir häufig zu groben, pauschalen Aussagen. Beispiele:

  • „Nie schaffe ich das!“
  • „Typisch, anders kenne ich das ja nicht von mir.“
  • „Wie dumm von mir!“
  • „Immer muss mir das passieren – ich werde vom Pech verfolgt.“

Doch Pauschalisierungen bringen uns kein Stück weiter, sondern führen dazu, innere Überzeugungen noch weiter zu verfestigen. Neuronale und psychologische Forschungen gehen davon aus, dass aufgrund von Wiederholungen von Gedanken und Handlungen neuronale Bahnen im Gehirn entstehen, die schließlich zu Automatismen im Alltag führen. Um solche Gedanken abzulegen, bedarf es deshalb der Bereitschaft, nachhaltig an sich selbst zu arbeiten, etwa im Rahmen einer Therapie, wenn negative Gedanken die Lebensqualität einschränken, zu Beziehungsproblemen führen oder berufliche Schwierigkeiten verursachen.

2. Selbstgespräche als Entscheidungshilfe wahrnehmen

Wer Stille oder das Alleinsein nicht gut aushält, dann vielleicht auch, weil die eigenen Gedanken in solchen Momenten besonders laut sein können. Wir mischen uns unter Menschen, Kollegen, Freunde und hoffen, dass die eigene Stimme verstummt.

Anstatt sie jedoch als etwas Unerwünschtes zu behandeln, kann es nützlicher sein, sie als Hilfe wahrzunehmen. Nicht alle Gedanken, die in Selbstgesprächen auftauchen, sind konstruktiv. Oft sind sie sogar destruktiv, weil sie über das normale Maß hinaus selbstkritisch sein können. Aber sie können auch eine Entscheidungshilfe sein: Wer es schafft, etwas Distanz zu gewinnen und die Gedanken zuzulassen, kann sie vielleicht im Alltag nutzen, um Entscheidungen abzuwägen. Je intensiver wir jedoch versuchen, sie wegzudrücken, desto stärker werden sie häufig.

3. Lautes Aussprechen kann inneren Druck abbauen

Schimpfen, Schreien, wütendes Herumtoben: Häufig wird eine solche Art, die Gefühle auszudrücken, negativ bewertet und als fehlende Impulskontrolle abgestempelt. Wer jedoch alleine ist und ordentlich Dampf ablassen will, kann auch eine solche Art des Selbstgesprächs nutzen, um inneren Druck abzubauen. Es kann helfen, wütende Gedanken auszusprechen und sie ziehen zu lassen, damit die Spannung nachlässt.

Bei Verdacht auf krankhafte Selbstgespräche professionelle Hilfe in Anspruch nehmen

Du hast das Gefühl, dass deine Selbstgespräche irgendwie „nicht normal“ sind? Zunächst einmal: Diagnosen sollten keinesfalls selbst gestellt werden. Wer Selbstgespräche als belastend wahrnimmt oder glaubt, unter einer Erkrankung zu leiden, sollte sich stets professionell beraten und untersuchen lassen. Sowohl neurologische als auch psychologische Untersuchungen können hilfreich sein, um Klarheit zu gewinnen.

Bild: Unsplash+/Pablo Merchán Montes

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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