Verpassen wir im Job die Gelegenheit zum „Sozial-Sein“, fühlen wir uns laut Forschung frustriert. Wie viel soziales Engagement ist sozial genug?

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Wer im Joballtag mal nicht sozial, hilfsbereit und kollegial sein kann, fühlt sich laut aktueller Forschungsstudie in den eigenen vier Wänden besonders gereizt. Privat käme es an den entsprechenden Tagen, an denen wir unsere soziale Seite nicht ausleben könnten, zu mehr Streit.

Helfen kann uns selbst helfen. Das ist nicht neu. Wer anderen unter die Arme greift, tut sich und seinem psychischen Wohlbefinden bekanntlich einen Gefallen, weil wir uns stark und gebraucht fühlen. Verpassen wir im Job aber die Chance, soll der Stresspegel steigen.

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Ein Faktor, der den privaten Stress in solchen Situationen wenig überraschend fördere, sei eine mangelhafte Schlafqualität. Kommen das Gefühl, im Beruf das Ausleben der sozialen Ader vernachlässigt zu haben, sowie Unruhe in der Nacht zusammen, können diese Faktoren eine explosive Mischung ergeben, die für Unzufriedenheit sorgt.

Der Druck, sozial sein zu müssen

Das belastende Gefühl zeigt sich aber nicht generell: Erst in Situationen, in denen wir zum Beispiel aufgrund von Zeitmangel nicht helfen konnten, würden wir eine Art Zwang in Gedanken entwickeln, dass wir eigentlich sozial sein müssten – es aber nicht können. Der Anspruch an die eigene Hilfsbereitschaft scheint demnach besonders hoch zu sein, wenn sie dazu führt, Schuldgefühle zu entwickeln.

Wie stark die Ausprägung des Gefühls ist, anderen gegenüber sozial sein zu müssen, hängt dabei auch vom individuellen Empfinden und den eigenen Werten und Prägungen ab. Wer sich zum Beispiel seelisch erst erfüllt fühlt, wenn anderen geholfen wird, tendiert oft zu stärkeren Schuldgefühlen, wenn das eigene Bedürfnis, für andere eine Stütze zu sein, nicht erfüllt werden kann. Dies betrifft demnach besonders engagierte Mitarbeiter und Kollegen.

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Wie viel soziales Engagement ist sozial genug?

Dass Menschen in Herden existieren, weil sie als soziale Wesen gelten, ist bekannt. Auch im Job entwickelt sich eine individuelle Dynamik im Team. Sozial zu sein, anderen zu helfen und freiwillig zur Stelle zu sein, um die Bindungen zu stärken und den Unternehmenserfolg zu sichern, ist Teil einer jeden Organisation, damit das soziale Miteinander reibungslos funktioniert.

Den starken Druck zu entwickeln, sich unbedingt sozial ausleben zu müssen, kann sich deshalb auch aus der Team-Dynamik heraus entwickeln: Handeln Mitarbeiter stets sozial und sind sie äußerst hilfsbereit, kann dieses eigentlich freiwillige Verhalten Druck bei anderen erzeugen, weil es die Norm im Umgang mit den Kollegen formt. Wer sich zurückzieht und nicht hilft, gilt zum Beispiel schnell als Kollegenschwein.

Dabei kann und muss der Mensch nicht immer mit seinem starken Sozialverhalten glänzen, wenn Autonomiebedürfnisse dadurch dauerhaft untergehen. Er darf auch mal fluchen, egoistisch sein und etwas tun, was anderen nicht in den Kram passt.

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Eine gute Balance ist gefragt. Wer es schafft, bei sich zu bleiben, sich zu behaupten und dennoch auf andere einzugehen, zeigt sich unabhängig, aber gleichzeitig sozial genug. Wird das soziale Engagement hingegen zu einer Belastung, die es nicht möglich macht, sich zum Beispiel eine Auszeit zu nehmen oder abzuschalten, überschreiten Hilfsbereite ihre eigenen Grenzen.

„Sozial genug“ heißt deshalb, anderen zu helfen und ihnen Gutes zu tun, solange wir uns selbst nicht schaden.

OCB: „Betriebliche“ Hilfsbereitschaft findet freiwillig statt

Die Studie berücksichtigt das „Organizational Citizenship Behavior“, kurz OCB, welches als Modell aus der Arbeits- und Organisationspsychologie bekannt ist. Es wird dem sogenannten „Extra-Rollenverhalten“ zugeordnet – also Rollen, die Mitarbeiter einnehmen, die jedoch nicht vertraglich festgeschrieben sind.

Das bedeutet: Beim OCB handelt es sich um eine Verhaltensweise, die Freiwilligkeit in Bezug auf Sozialengagement und Loyalität gegenüber Team und Unternehmen voraussetzt, von Arbeitgebern demnach aber nicht „erwartet“ oder „ausgezeichnet“ wird, weil sie nicht zu unserer eigentlichen beruflich festgelegten Leistung gehört. Obwohl Sozialkompetenz von vielen Unternehmen vorausgesetzt wird und fester Bestandteil vieler beruflichen Beziehungen ist, ist es dem Modell nach streng genommen keine Selbstverständlichkeit.

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Das freiwillige Arbeitsengagement erleichtert im Grunde die Zusammenarbeit im Team. Wer einem Kollegen kurzfristig aushilft, weil viel los ist, oder wer Toleranz gegenüber Missgeschicken zeigt, verhält sich demnach sozial. Zugehörige Komponenten sind zum Beispiel:

  • verbindlich handeln
  • freiwillig aushelfen
  • unangenehme Situationen zusammen aushalten

Freiwillige Bereitschaft im Beruf kann sich dabei positiv auf die gesamte Atmosphäre im Team auswirken und auch einzelnen Mitarbeitern helfen, Erfüllung zu erfahren. Wird OCB jedoch zum Zwang, weil der Druck durch das Auslassen der Hilfsbereitschaft steigt, kann unsere eigene Erwartungshaltung uns stressen.

Wie schaffen Arbeitnehmer es, ihre eigenen Grenzen zu wahren?

Eine gewisse Freiwilligkeit in Bezug auf das eigene Sozial-Sein gehört zum Zusammenarbeiten und Zusammenleben mit Menschen dazu. Wer aus lauter Empathie und Sozialengagement jedoch sich selbst vergisst, riskiert nicht nur, schneller auszubrennen, sondern auch, dass Kollegen es sich zur Gewohnheit machen, ihre Arbeit auf den Kollegen mit dem Helfer-Syndrom abzuwälzen.

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Eine professionelle Distanz sowie das Trennen von Arbeit und privaten Beziehungen kann deshalb hilfreich sein. Dass die Stimmung kippen kann, wenn jemand sich „freiwillig“ nicht engagiert, obwohl das freiwillige Engagement bisher selbstverständlich war, ist vorhersehbar.

Doch nicht immer fällt es leicht, Job einfach nur Job sein zu lassen. Denn die Sehnsucht nach sozialen Bindungen und Beziehungen ist vor allem bei jüngeren Arbeitskräften besonders ausgeprägt: Sie wünschen sich nicht nur Arbeit, sondern Freundschaften, die sie motivieren, zur Arbeit zu gehen. In Anbetracht der vergangenen Jahre mit Pandemie und Einsamkeit jedoch eine nachvollziehbare Sehnsucht.

Wer sich sozial engagieren will, sollte Erwartungen reflektieren und sich darüber bewusst sein, dass die eigenen sozialen Bemühungen nicht bedeuten, von Kollegen ebenfalls eine soziale Bemühung erwarten zu können. Sie wird nicht immer kommen. Auch das hilft, eigene Grenzen nicht zu strapazieren oder die Zusammenarbeit im Team gar zu romantisieren.

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Gut zu wissen: Gen Z zeigt sich oft sozial und hilfsbereit

Soziales Engagement wird als hohe Tugend angesehen. Wie die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) mitteilte, habe vor allem Gen Z während der Pandemie freiwillig geholfen, etwa Älteren bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben. Der jungen Generation sind soziale Werte auch in der Arbeitswelt wichtig.

Sozial sein: Ja – aber auch sich selbst gegenüber

Schuldgefühle und externer Erwartungsdruck von Kollegen, aber auch unsere eigenen Ansprüche zum Thema Sozial-Sein, die nicht immer realistisch sind, resultieren in Stress. Wer es einmal oder mehrmals nicht schafft, sich im Job von seiner sozialen, engagierten und empathischen Seite zu zeigen, muss jedoch keine Kündigung befürchten.

Wie so oft kommt es darauf an, von falschem Druck und Perfektion abzusehen. Es genügt, Mensch zu sein und sich seine schlechten, unkollegialen, unsozialen Tage zu verzeihen und auch zu akzeptieren. Die sozialen und die weniger sozialen Seiten von Berufstätigen sind fester Bestandteil der Arbeitswelt.

Wird das freiwillige Engagement von hilfsbereiten Mitarbeitern von Unternehmen hingegen instrumentalisiert, stellt sich nicht die Frage, ob wir selbst falsch sind, sondern, ob wir beim richtigen Unternehmen gelandet sind. Denn das Sozial-Sein sind wir in erster Linie uns selbst gegenüber schuldig, damit unsere Hilfsbereitschaft nicht ausgenutzt wird.

Bild: FG Trade/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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