Beim Betrachten der großen Unternehmen unserer heutigen Zeit fällt es schwer, Begriffe wie „Moral“ und „ethische Standards“ noch ernst zu nehmen. Doch tatsächlich wird in fast jedem Vertrag festgehalten, dass die Entscheidungen eben jenen „höchsten ethischen Standards“ entsprechen sollten. Nur wieso treffen dann eigentlich so viele Menschen im Beruf unmoralische Entscheidungen?

Intuition oder rationales Denken?

Wohl jeder kennt den Kampf zwischen Kopf und Bauch: Solltest du lieber deinem rationalen Denken vertrauen oder eine spontane Entscheidung aus dem Bauch heraus treffen? Tatsächlich gibt es viele Beispiele dafür, dass eine intuitive Entscheidung in keinem Fall schlechter ist, als eine bewusste Entscheidung des Verstands – nur laufen sie einfach wesentlich schneller ab.

„Intuition ist Intelligenz mit überhöhter Geschwindigkeit.“

(Italienisches Sprichwort)

So hat zum Beispiel die an der Universität Chicago lehrende Psychologin Sian Leah Beilock eine einfache Versuchsreihe mit Golfern durchgeführt und dabei herausgefunden, dass professionelle Golfer bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie keine Zeit dafür haben, über ihren Schlag nachzudenken, während Anfänger sich eher länger Zeit nehmen sollten, um einen möglichst optimalen Schlag zu schaffen. Die Quintessenz daraus ist, dass Intuition auf deine Erfahrung zurückgreift und innerhalb kürzester Zeit die richtige Entscheidung treffen kann – allerdings muss dafür die entsprechende Erfahrung erst einmal vorhanden sein.

Wir haben verlernt, auf unseren „Instinkt“ zu hören

Ein weiterer zum Thema passender Versuch wurde von Antonio Damasio durchgeführt: Der US-Amerikaner ist Neurologe, arbeitet an der Universität Iowa und hat bereits in den 1990er Jahren erste Versuche zu diesem Gebiet durchgeführt. In seinen Versuchsreihen schloss er die Probanden an eine spezielle Variante des Lügendetektors an und gab Ihnen zwei präparierte Kartenstapel, wobei der erste Stapel große Gewinne abwerfen sollte, während der kleine nur mit geringeren Gewinnen lockte. Für beide Kartenstapel galt, dass die roten Karten Strafzahlungen nach sich zogen. Der Trick hinter diesem System: Der erste Stapel besaß wesentlich mehr Strafkarten, während sich der zweite Stapel auf lange Sicht betrachtet als lohnenswerter entpuppte. Den meisten Probanden war dies nach ungefähr 50 Karten klar, doch der Clou der Versuchsreihe ist, dass der Instinkt bereits nach zehn Karten vor dem ersten Stapel gewarnt hatte.

„Seine Instinkte soll man besser nicht überreden.“

Erich Limpach

Diese Versuche zeigen, dass der instinktive Gedanke oftmals der richtige ist, uns aber häufig beigebracht wird, dass wir lieber erst einmal alles durchdenken sollten. Dies führt dazu, dass ein Thema „überdacht“ wird und dann der eigene Gedankengang zu einer falschen Entscheidung führt – obwohl die Intuition das Gegenteil angeregt hatte. Gerade in der Arbeitswelt trauen sich viele Menschen einfach nicht, auf das eigene Bauchgefühl zu hören, und treffen dann lieber die Entscheidung, die allem Anschein nach besser für das Unternehmen wäre – selbst, wenn diese unmoralisch ist.

Die Angst vor dem Verlust

Aus psychologischer Sicht sorgen oftmals irrationale Verlustängste dafür, dass Menschen unmoralische oder unkluge Entscheidungen treffen. Denn mit jeder Entscheidung, die du triffst, schließt du auch gleichzeitig andere Möglichkeiten komplett aus:

  1. Kaufe ein neues Auto, so entscheidest du dich gegen andere Modelle, die dir vielleicht mehr Komfort und Spaß gebracht hätten.
  2. Gehe in einem bestimmten Restaurant essen, so entscheidest du dich für ein Gericht, während ein anderes Restaurant vielleicht auch leckere Menüs im Angebot hätte.
  3. Wähle einen Partner für dein Leben, so schließt du andere Menschen aus, mit denen du vielleicht glücklicher gewesen wärst.

In vielen Fällen laufen diese Verlustängste unterbewusst ab und sind unterschiedlich stark ausgeprägt, doch steht in vielen Fällen eben der Verlust im Vordergrund, während die Freude über die Wahl eher in den Hintergrund rückt. Die Angst vor dem potentiellen Verlust sorgt dann nicht selten dafür, dass schlechte Entscheidungen getroffen werden, die kurzfristig betrachtet zwar eine Belohnung versprechen, langfristig jedoch negative Konsequenzen nach sich ziehen – deshalb betrügen einige Menschen ihren Partner oder beschönigen die Zahlen am Arbeitsplatz.

Entscheidungen treffen – für sich selbst oder für andere?

Es ist kein psychologisches Geheimnis, dass Menschen für sich selbst andere Entscheidungen treffen als für andere. Die erwähnte Verlustangst und die emotionale Komponente sind wesentlich geringer, wenn eine Entscheidung nicht für sich selbst getroffen werden muss, während die Risikobereitschaft steigt.

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Dies wurde von Mihai Avram, Psychologe an der Universität in München, bereits in einer Studie im Jahr 2014 nachgewiesen: Muss eine ethische Entscheidung getroffen werden, so sind je nach Situation unterschiedliche Gehirnregionen betroffen. Betrifft das Urteil die eigene Person, sind emotionalere Regionen aktiviert, die jedoch weniger betroffen sind, wenn die Entscheidung über andere gefällt wird – dadurch entstehen wesentlich pragmatischere und moralisch fragwürdigere Urteile.

„Menschen, die sich ethisch verhalten, sind glücklicher als solche, die das nicht tun.“

(Dalai Lama)

Doch tatsächlich lassen sich auch Argumente dafür finden, dass unethische Entscheidungen aus emotionalen Gründen getroffen werden – vor allem, wenn sie die Mitmenschen betreffen. Jeder kennt das Phänomen, dass die eigenen moralischen Grenzen verschwimmen, wenn es um den Partner oder die Kinder geht – das ist nicht zuletzt aus dem Urinstinkt der Arterhaltung heraus tief in unserem Unterbewusstsein verankert. Doch auch im beruflichen Alltag gibt es immer wieder Personen, die zum Beispiel aktuelle Zahlen beschönigen oder unmoralische Entscheidungen treffen, um die Belegschaft zu retten. Hier werden die falschen Entscheidungen aus den richtigen Gründen getroffen.

Langfristige Entscheidungen und ungewollte Gefahren

Das Dilemma der langfristigen Entscheidungen ist allgegenwärtig und in jedem Lebensabschnitt lassen sich entsprechende Beispiele finden: Du musst dich in jungen Jahren für eine Berufswahl entscheiden, eine Ausbildung finden und dich in einem Berufsfeld etablieren – ob es sich hierbei jedoch um eine zufriedenstellende Wahl handelt, wird dir erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten klar. Auch bei der Anlage von Geld oder gar dem Kauf eines neuen Autos ist es immer schwierig, vorab zu wissen, ob hier die richtige Wahl getroffen wurde. Viele Menschen haben genau mit solchen Entscheidungen ein Problem und nicht umsonst trifft das berühmte Sprichwort

„Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“

auf viele Situationen zu. So werden oftmals Kompromisse getroffen, schnell führt ein Kompromiss zum nächsten und schon befindest du dich auf einer ungewollten Irrfahrt, aus der du vielleicht nicht mehr herausfindest und die dich zu Entscheidungen zwingt, die du sonst nie treffen würdest. Es gibt allerdings ein paar Tricks, mit denen du diese Probleme vermeiden kannst:

  • Eine kurze Auszeit nehmen: Bevor du eine Entscheidung triffst, machst du eine kurze Pause und überlegst dir, ob du gerade kurzsichtig handelst. Senke den Stress, der dich zu der Entscheidung zwingt. So kannst du dich selbst auch von dem Verlangen nach einer sofortigen Belohnung fernhalten.
  • Den Kompromiss überdenken: Mache dir klar, dass du gerade einen Kompromiss eingehst und damit von deinem eigentlichen Weg abweichst. Nur selten wird dir sofort bewusst, dass der Kompromiss auch unmoralische oder schlechte Aspekte mit sich bringt, da du oftmals das „kleinere Übel“ wählen willst. Doch nicht selten gibt es noch weitere Wahlmöglichkeiten.
  • Störende Faktoren ausblenden: Stress und fehlende Informationen sind in vielen Fällen der Grund, warum du Urteile fällst, die du sonst niemals getroffen hättest. Versuche, zur Ruhe zu kommen und erst einmal alle relevanten Informationen zu sammeln.
  • Die Perspektive wechseln: Versuche, dich von deiner eigenen Ansicht zu lösen und die zu treffende Entscheidung aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Oftmals wird dir so klar, dass du zwar gute Absichten hast, das Ergebnis jedoch negative Konsequenzen mit sich bringen könnte.

Zwar hören sich diese Tipps in der Theorie recht banal an, doch wenn du sie erst einmal in der Praxis ausprobiert hast, stellst du schnell fest, dass sie tatsächlich höchst effektiv sind.

Moral ist abhängig von der Situation

Eines der modernsten moralischen Gedankenspiele betrifft einen führerlosen, menschenleeren Zug, der auf einen anderen Zug zurast, in dem fünf Personen sitzen. Du hast jedoch die Möglichkeit den führerlosen Zug auf ein anderes Gleis umzuleiten, auf dem ein dritter Zug steht – darin sitzt nur ein einziger Mensch. Wie würdest du dich entscheiden? Diese prinzipielle Frage ist bereits so alt wie die Menschheit und wiegt Menschenleben gegeneinander auf: Ab welcher Menge ist es moralisch vertretbar, Menschen zu opfern, um mehr Menschen zu retten? Die obige Frage wurde an der renommierten Harvard Universität von Professor Marc Hauser gestellt und 80 Prozent der Befragten antworteten, dass ein Mensch geopfert werden sollte ,um fünf Menschen zu retten.

Nun ein zweites Gedankenspiel: Der gleiche Zug rast auf den zweiten Zug mit fünf Insassen zu, doch diesmal gibt es keinen dritten Zug und keinen Gleiswechsel. Stattdessen nur einen dicken Mann, der am Gleis steht und den Zug rechtzeitig stoppen würde, wenn du ihn vor den Zug wirfst. Dieses Szenario wurde von den meisten Menschen als unmoralisch interpretiert.

Professor Hauser schließt daraus, dass aktives Handeln als unmoralisch gilt, während passive Taten für die meisten Menschen vertretbar sind – obwohl das Ergebnis letztendlich gleich bleibt.

Diese Tatsache lässt sich auf den Alltag übertragen und erklärt, warum ethisch fragwürdige Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die eigentlich über eine moralische Vorstellung verfügen: Abhängig von der Situation, war den Entscheidungstreffenden gar nicht klar, dass sie gerade ein eher unmoralisches Urteil gefällt haben.

Belügst du dich selbst?

Wir alle treffen Entscheidungen, mit denen wir nicht unbedingt glücklich sind oder für die wir uns sogar schämen. Eines der größten psychologischen Phänomene ist allerdings, dass wir unsere falschen Entscheidungen noch verteidigen – nicht nur vor anderen, sondern in der Regel auch vor uns selbst. Dabei wissen wir oftmals bewusst oder unterbewusst, dass wir eine unmoralische und falsche Entscheidung getroffen haben, reden uns jedoch ein, dass wir es aus den richtigen Gründen getan hätten.

„Es ist schwieriger, sich selbst zu täuschen als andere.“

(Anatole France)

Selbsttäuschung und Selbstgerechtigkeit sind allerdings gefährliche Mittel und wer erst einmal damit begonnen hat, sich die Wirklichkeit so zurecht zu biegen, dass sie den eigenen Wünschen genügt, der hört nur selten damit wieder auf.

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So entsteht schnell ein Teufelskreis aus schwindender Moral und Entscheidungen, die Sie sich selbst vor kurzer Zeit niemals zugetraut hätten.

Statistik: Was bedeutet für Sie moralisches Verhalten? | Statista
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Ebenfalls in diese Kategorie gehört die sogenannten Entscheidungsparalyse, die dazuführt, dass wir uns entweder gar nicht entscheiden können oder bei einer Entscheidung bleiben – selbst, wenn sie falsch ist. Dieses Phänomen wurde bereits 1989 vom US-amerikanischen Ökologen Jack Netsch in seinem berühmten Becher-Versuch nachgewiesen: Er schenkte allen Studenten seines Kurses einen Kaffeebecher und fragte sie kurz danach, ob sie den Becher nicht gegen einen Schokoladenriegel tauschen wollten. 90 Prozent der Befragten blieben lieber bei Ihrem Becher. Dem nächsten Kurs schenkte er zunächst den Schokoladenriegel und fragte dann nach einem Tausch für einen Kaffeebecher – und auch hier blieben 90 Prozent lieber bei der Süßigkeit.

Es gibt zu viele schlechte Beispiele

Führungspersonal sollte als leuchtendes Beispiel vorangehen und moralische Entscheidungen treffen. Das gilt sowohl im Business-Bereich als auch auf politischer Ebene. Oftmals entstehen so jedoch tatsächlich ungewollte schlechte Vorbilder, die einen nachhaltigen Effekt mit sich bringen.

Ein Beispiel: Der Vorgesetzte überprüft die aktuellen Zahlen zusammen mit einem Mitarbeiter und streicht einige negative Punkte heraus, um die Bilanz nicht zu negativ wirken zu lassen.

Diese kleine „Beschönigung“ mag zwar eine gängige Methode sein oder ist aus verschiedenen Gründen notwendig, doch vermittelt sie ein falsches (Vor-) Bild. Der Mitarbeiter geht nun davon aus, dass es in Ordnung ist, kleinere Änderungen vorzunehmen, und gibt diese Information irgendwann an seine Kollegen oder Mitarbeiter weiter. So entsteht eine Kette mit moralisch fragwürdigen Entscheidungen.

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Lassen sich unmoralische Entscheidungen vermeiden?

Letztendlich gibt es viele und tatsächlich nachvollziehbare Gründe, warum gute Menschen unethische Entscheidungen treffen. Sei es, um sich selbst oder andere zu schützen, oder weil die menschliche Psychologie ihre Eigenarten besitzt.

„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“

George Bernard Shaw

, schrieb bereits der irische Schriftsteller George Bernard Shaw und verwies damit auf genau das Problem: Egal, wie gut der Grund ist, eine Entscheidung, die der eigenen oder allgemeinen Moral zuwider ist, wird immer schlecht enden. Es stellt sich die Frage, ob dieses menschliche Phänomen vermeidbar ist und ob wir nicht von unseren politischen und beruflichen Führern höhere ethische Standards erwarten sollten?!

Was sagst du dazu? Welche moralischen oder unmoralischen Entscheidungen werden in deinem beruflichen Umfeld, vielleicht sogar von dir selbst, getroffen? Welche Gründe rechtfertigen deiner Meinung nach unmoralische Entscheidungen? Diskutiere in den Kommentaren!

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