„Hör mit dem Weinen auf!“: Die innere Stimme unserer Kinder wird von dem geprägt, was wir ihnen sagen – und wirkt sich später auf Beruf und Beziehungen aus.

Anzeige

Die größte Geduldsprobe des Lebens stellt für viele Paare ihr Nachwuchs dar. Kinder sind zweifelsohne ein Geschenk. Aber sie können herausfordernd sein. Und sie brauchen ihre Eltern, ihre Bezugspersonen, auch wenn sie um Unabhängigkeit kämpfen. Familienpsychologe Klaus Alfred Schneewind (Ludwig-Maximilians-Universität München) schreibt der Herkunftsfamilie „sehr viel Macht“ zu. Denn das Beziehungserleben von Kindern beeinflusst ihr Denken und Handeln, sodass Kindheitserfahrungen im schlimmsten Fall destruktiv enden.

Niemand, so der Forscher und Autor, könne sich diesem Einfluss und dem Familienklima einfach so entziehen. Welche Sätze du deinem Nachwuchs niemals sagen solltest, liest du im Folgenden.

Anzeige

1. „Lass mich einfach in Ruhe!“

In überfordernden Momenten mit einem Kind ist es durchaus wichtig, sich Zeit für sich zu nehmen, um wieder klar denken zu können. Den Nachwuchs jedoch ohne weitere Erklärungen wegzuschicken oder sich selbst mit aufbrausenden Worten zu verabschieden, kann sich massiv auf die Psyche auswirken: Es handelt sich für sie um eine Art der Zurückweisung, die nur schwer zu greifen ist.

Auch im Erwachsenenalter wird ein solcher Satz sie üblicherweise weiterhin verfolgen, etwa in Konfliktsituationen mit dem Partner. Denn der Trigger bleibt bestehen, bis er bearbeitet worden ist.

Um dies zu verhindern, greifen Eltern idealerweise zu einer nachvollziehbaren Alternative. Ein positives Beispiel wäre, das Kind um ein wenig Geduld zu bitten und diesem mitzuteilen, gleich wieder für es da zu sein.

Anzeige

2. „Deine Schwester macht das viel besser als du.“

Werden Kinder miteinander verglichen, kann das ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Sie bekommen das Gefühl, wertlos zu sein oder sich beweisen zu müssen, um die Anerkennung zu bekommen, die zum Beispiel ein Geschwisterteil erhält. Auch das Sozialverhalten des Kindes entwickelt sich in eine destruktive Richtung, wenn es sich dem Druck ausgesetzt fühlt, mehr leisten zu müssen oder anders zu sein, um den unrealistischen Maßstäben der Gesellschaft zu entsprechen. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern Kinder nicht miteinander vergleichen, sondern ihre Individualität als Stärke annehmen – und ihrem Nachwuchs diesen Wert auch vermitteln.

3. „Stell dich jetzt doch nicht so an!“

Das Kind braucht etwas länger, um sich die Schuhe selbst zuzubinden, Spielzeug wegzuräumen oder die Mahlzeit zu beenden? Was Eltern häufig vergessen, ist, dass Kinder ihr eigenes Tempo haben – und dieses ist mit dem Tempo von Erwachsenen keinesfalls vergleichbar. Unser Nachwuchs befindet sich in einer Lern- und Entwicklungsphase, die das spätere Leben erheblich prägt. Druck, der lähmend wirkt und auch die Scham des Kindes anspricht, kann es ängstlicher machen, sodass es bereits an kleineren Aufgaben scheitert.

4. „Du sollst nicht weinen!“

Weil auch Erwachsene das Weinen schwer ertragen, möchten sie es bei ihren Kindern nicht sehen. Doch Weinen ist natürlich. Es reguliert den Stress im Körper und verleiht der Traurigkeit und der Verzweiflung, die wir in jeder Lebensphase unabhängig vom Alter durchleben, einen Ausdruck. Für Kinder ist es auch ein Mittel der Kommunikation, welches hilft, wenn die Worte (noch) fehlen, sodass die Aufforderung, nicht zu weinen, der Aufforderung gleichkommt, nicht zu sprechen. Umso bedeutender ist es, die Tränen der Kinder aushalten zu können, ihnen Trost zu spenden und bei ihnen zu bleiben, auch wenn es nicht einfach ist.

Anzeige

5. „Siehst du: Das habe ich dir gesagt.“

Kinder sind auf eigene Erfahrungen angewiesen, um wachsen und lernen zu können. Zwar sind Eltern vor allem dafür zuständig, sie vor Gefahren zu schützen. Handelt es sich jedoch nicht gerade um eine Lebensgefahr, ist es wichtig, dem Nachwuchs keine Prophezeiungen einzutrichtern – sondern sie ausprobieren zu lassen.

Denn die Vermeidung von Schmerz kann dazu führen, dass sie auf diesem sitzenbleiben. Hinzu kommt Beschämung für eine Situation, in denen Kinder sich hilflos fühlen, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Als Folge trauen sie sich nicht, andere um Hilfe zu bitten, was gravierend sein kann. Denn sie leiden unter Schuldgefühlen, die sie lange begleiten – in schwierigen Fällen oft sogar das gesamte Leben.

Anstatt sie zu tadeln und ihnen ihren Mut gar vorzuwerfen, ist es wichtig, Kinder zu unterstützen, wenn sie scheitern – und ihnen zu zeigen, dass Missgeschicke und Fehler menschlich sind. Denn nur so verstummt die Stimme des Nachwuchses nicht und sie fühlen sich dazu befähigt, andere um Unterstützung zu bitten. Im späteren Berufsleben ist dies eine wichtige Eigenschaft, um nicht auszubrennen, sondern Grenzen zu setzen und um in der Lage zu sein, Hilfe anzunehmen.

Anzeige

6. „Das wird doch wieder – Kopf hoch!“

Trost und das Zusprechen von Hoffnung ist essenziell für die Entwicklung von Kindern. Die Aussage, dass es bald wieder werden wird, wirkt jedoch oft (ungewollt) pauschalisierend – und sie nimmt Kindern das Gefühl, sich so fühlen zu dürfen, wie sie sich fühlen. Es vermittelt die Message: „Das, was du gerade fühlst, ist nicht okay – und es muss verschwinden.“

Die Gefühle werden regelrecht abgetan. Besser: „Ich bin für dich da – und es ist in Ordnung, dass du dich jetzt so fühlst.“

7. „Wie oft muss ich dir das noch erklären?“

Erreichen wir unsere Geduldsgrenze, machen sich die fehlenden Kapazitäten in Form von ungeduldig aufgeladenen Sätzen bemerkbar. Doch die Frage, wie häufig wir einem Kind einen Inhalt vermitteln müssen, lässt den Nachwuchs beschämt und hilflos zurück. Niemals sollten Eltern sich deshalb dazu hinreißen lassen, ihren Kindern das Gefühl zu geben, dass diese schlecht oder wertlos sind, weil es ihnen an Wissen und Verständnis fehlt. Das, was uns simpel erscheint, kann für Kinder die komplexeste Sache der Welt sein.

Anzeige

8. „Warte bloß ab, bis Papa/Mama nach Hause kommt!“

Scheinbar harmlose Drohungen, die Eltern aussprechen, wenn ihnen das Verhalten ihrer Kinder nicht passt, können dazu führen, irrationale Ängste zu entwickeln. Wird der Partner für diesen Zweck instrumentalisiert, sind die Folgen häufig noch gravierender. Denn die Drohung, man solle auf einen Elternteil warten, bis dieser nach Hause kommt, soll als Strafe wirken und möglicherweise (verbale) Gewalt androhen.

Um einem gestörten Bindungsverhalten vorzubeugen und das Kind in seinem Sein zu bestärken, sollten Eltern darauf verzichten – so schwierig die Situation auch sein mag. Schließlich sind Kinder von ihren Bezugspersonen abhängig, sodass diese auf Sicherheit, Geborgenheit und Zuverlässigkeit angewiesen sind. Werden diese zum „Täter“ (oder zumindest als solche dargestellt), kann sich das Bild in den Köpfen des Nachwuchses verfestigen und sich auf die psychische Gesundheit auswirken.

9. „Nerv nicht!“

Ein Satz, der schnell über die Lippen geht, bei Kindern aber stetig im Gedächtnis bleibt. Er vermittelt ihnen das Gefühl, unerwünscht zu sein. Ja – es kann nervenaufreibend sein, Kinder zu erziehen, aber genauso liegt es in der Verantwortung der Eltern, behutsam mit ihren Worten umzugehen, die großen Schaden anrichten können. Wer sich genervt fühlt, steht deshalb vor der Herausforderung, seine eigenen Gefühle auf eine gesunde Art und Weise zu regulieren, die verhindert, dass unsere Liebsten unter der Situation leiden und bleibende Schäden davontragen.

Anzeige

Bild: LordHenriVoton/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

Mach mit und diskutiere mit uns in unserer Skool Community!

Egal, ob du Fragen hast, Antworten suchst oder einfach nur deine Erfahrungen zu diesem oder anderen Themen teilen möchtest, du bist herzlich willkommen. Diskutiere mit, erweitere dein Wissen und werde Teil einer inspirierenden Gemeinschaft. Zur Arbeits-ABC Community