Wir treffen jeden Tag Entscheidungen. Und wir liegen daneben. Was die Wissenschaft dazu sagt und wie Führungskräfte und Mitarbeiter besser entscheiden.

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Führungskräfte finden es heute schwerer, Entscheidungen zu treffen

Das Unternehmen Treasure Data hat 1.500 Entscheidungsträger befragt und im Rahmen des Reports „Effektive Entscheidungen in unsicheren Zeiten“ herausgefunden, dass rund 52 Prozent der Führungskräfte seit der Pandemie unsicherer in Entscheidungsfragen geworden sind. 48 Prozent der Befragten geben an, dass der Entscheidungsdruck zugenommen hat. Und 45 Prozent haben Angst, dass sie eine Fehlentscheidung treffen.

Ein Problem wird besonders deutlich: Bei Managemententscheidungen hörten viele Entscheidungsträger bisher häufig auf ihr Bauchgefühl; denn 46 Prozent der Umfrageteilnehmer wissen nicht, wie sie „Daten“ interpretieren sollen, die in vielen Unternehmen jedoch zunehmend wichtiger werden. Über die Hälfte – das sind 53 Prozent – können Daten vor allem wegen „fehlender Tools“ nicht in ihre eigentlich so wichtigen Entscheidungsprozesse einbinden.

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Wie treffen wir Entscheidungen?

Top-Führungskräfte, Mitarbeiter und eigentlich jeder von uns – wir alle liegen mal daneben. Fehlentscheidungen, vor allem in Managementetagen, passieren dabei täglich. Unabhängig davon, ob es sich um ein teures Fehlinvestment oder um eine falsche Personalentscheidung handelt: Ungünstige Entscheidungen werden wir auch künftig treffen. Weil sie menschlich sind und ein makelloses Entscheidungsverhalten weder auf Führungsebene noch auf Mitarbeiterebene existiert. Wie aber können wir bessere Entscheidungen treffen – und was verunsichert uns, wenn wir sie treffen?

Entscheidungswissenschaftlerin und Verhaltensforscherin Dr. Verena Utikal weist in ihren Beiträgen auf folgenden Punkt hin: Viele Entscheidungen, vor allem Alltagsentscheidungen, seien „Bauchentscheidungen“. Also intuitive und keine kognitiv-bewussten Wahlen, weil unser Gehirn durch automatisierte Entscheidungsprozesse probiere, das Energielevel niedrig zu halten und den Prozess so simpel wie möglich zu gestalten.

Geht es aber nicht um die Wahl der Nudelsorte im Supermarkt oder darum, welche Jeans wir heute intuitiv zum Ausgehen wählen, sondern um größere Entscheidungen, etwa im Job, spielen Kopfentscheidungen oft noch eine größere Rolle. Für bewusste Entscheidungen, so Utikal, brauchen wir unsere Großhirnrinde, was den Prozess etwas komplexer und langwieriger macht. Gute Entscheidungen treffen wir der Wissenschaftlerin nach jedoch, wenn beides im Spiel ist: Kopf und Bauchgefühl.

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„Cognitive Biases“: Wie unbewusste Verzerrungen zu Fehlentscheidungen führen

Im Grunde ist das „automatische“ und unbewusste, intuitive Entscheiden wertvoll – vor allem in Gefahrensituationen, wenn wir schnell entscheiden müssen. Hier lauert aber auch ein Risiko und der Grund, warum wir manchmal Fehlentscheidungen treffen:

Routinierte Denkprozesse basieren immer auf Erfahrungen, auf eingeprägte Verhaltensmuster, die unser Hirn sich gemerkt hat. Und auf Überzeugungen, die wir in uns tragen. Das führt zwar zu sicheren, aber keinesfalls zu neuen, kreativen oder innovativen Lösungen. Es kommt bei neuen Herausforderungen regelmäßig zu Fehleinschätzungen – egal, ob wir Top-Führungskraft oder ein wichtiger Entscheidungsträger sind. Wir alle treffen Fehlentscheidungen auf Basis von verzerrten, fest in uns verankerten Wahrnehmungen.

Gehirnforscher sprechen deshalb auch von den sogenannten „Cognitive Biases“, den kognitiven Verzerrungen. Drei gängige Beispiele:

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1. Confirmation Bias: Wir suchen nach Bestätigung für bestehende Überzeugungen

Eine kognitive Verzerrung kann vorliegen, wenn wir nicht von dem abweichen, was wir bereits kennen und für unsere Meinung nach zusätzlicher Bestätigung suchen. Entscheidungen werden im Fall „Confirmation Bias“ auf eher subjektiver Basis getroffen. Dabei werden neue Ideen, die wir mit etwas mehr Anstrengung objektiv neu bewerten müssten, systematisch und oft unbewusst vermieden.

2. Framing Bias: Entscheidungen werden auf Basis des „Präsentationsrahmens“ getroffen

Stellt ein wenig begeisterter Mitarbeiter seine Projektergebnisse am Freitagnachmittag vor, wenn alle bereits mit dem halben Fuß im Wochenende stehen, ist es möglich, dass wir – nach dem Prinzip des Framing Biases – tendenziell negativ reagieren und die Ergebnisse schlechter bewerten. Unsere Urteilsfindung soll andersherum positiv beeinflusst werden, wenn wir ausgeschlafen zur Arbeit erscheinen, es beispielsweise Dienstagmorgen ist und der Mitarbeiter fröhlich, mit guter Laune seine Ergebnisse präsentiert. Es geht also um den „Rahmen“, der hier unsere Entscheidungen beeinflusst.

3. Sunk Cost Fallacy: Wir opfern Geld, Nerven und Zeit – also bleiben wir dabei

Wir treffen auch Fehlentscheidungen, wenn wir auf Basis unserer „Investitionen“ handeln. Das passiert beispielsweise auf Managementebene, aber auch im Alltag. Beispiel: Du hast Kinotickets gekauft, liegst nun aber krank im Bett. Dennoch hast du das Gefühl, dich aufraffen zu müssen – schließlich hast du insgesamt über 20 Euro bezahlt. Auf Basis der „Anfangsinvestition“, der Mühe und der Zeit, kommt es immer wieder zu Fehleinschätzungen. Auch wenn eine andere Entscheidung klüger wäre, entscheiden wir uns schließlich für die schlechtere Option: Wir gehen krank ins Kino, obwohl draußen Minusgrade herrschen, erholen uns nicht und liegen die ganze restliche Woche im Bett.

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Wie schaffen wir es, bessere Entscheidungen zu treffen?

Um Entscheidungsprozesse zu vereinfachen, etwa in Teams, tendieren Unternehmen regelmäßig dazu, Meetings einzuberufen oder Gruppen zu bilden. Der studierte Betriebswirt, Kommunikationswissenschaftler und Autor Dr. Wolfgang Frick (Buch: „Die neue Lust am Entscheiden“) findet jedoch: Eine Korrelation zwischen der Güte von Entscheidungen sowie der Anzahl der Entscheidungsbeteiligten existiere so nicht.

Anders formuliert: Nur weil wir einen großen Haufen Menschen am Entscheidungsprozess beteiligen, muss es keine gute Entscheidung werden. Was helfen kann, ist beispielsweise die Begrenzung der Gruppe.

Tipps für den besseren Umgang mit der Entscheidungsfindung – alleine oder im Team:

Tipp #1: Failing forward

Aus Fehlern, Fehleinschätzung und Falschentscheidungen lernen – bedeutet, dass wir quasi „vorwärts“ scheitern. Failing forward beschreibt somit einen Ansatz, der fehlertoleranter ist als die Vorgehensweisen, die wir sie sonst kennen und bevorzugen.

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Was aber bedeutet eine solche Kultur des Scheiterns in der Praxis? Wichtig ist, Fehlentscheidungen nicht zu belächeln, Entscheidungsträger nicht zu erniedrigen oder aus allem einen Spott zu machen. Führungskräfte und Unternehmen sollten von Fehlern und von bestehenden Risiken ausgehen. Sie sind wahrscheinlich. Die Vorteile:

  • Mitarbeiter lernen, kreativ und experimentierfreudig zu sein.
  • Führungskräfte trauen sich selbst mehr zu, wenn sie für Fehlentscheidungen nicht beschämt werden.
  • Scheitern wird zur Gelegenheit, gemeinsam zu lernen und auf Basis des Learnings bessere Entscheidungen zu treffen.

Tipp #2: Junior speaks first

Entscheidungen werden immer „nur“ von Führungskräften und ranghöheren Mitarbeiten getroffen? Das Junior-speaks-first-Prinzip will das genaue Gegenteil: Aus Angst davor, sich mit der eigenen Meinung zu blamieren oder einen Fehler zu machen, halten Mitarbeiter, die nicht auf derselben Ebene wie andere Mitarbeiter stehen, sich mit ihrer Meinung oft zurück. Junior speaks first bedeutet jedoch, dass bei der Ideenfindung und bei Entscheidungsprozessen, die alle betreffen, eben diese Mitarbeiter den Anfang machen und ihre Sichtweise einbringen – ohne Verurteilung, ohne negative Wertung.

Das Prinzip nimmt auch Abschied vom sogenannten „Groupthink“, der Gefahr, dass eine kollektive Gruppenmeinung zu Fehlentscheidungen führt, weil eine bestehende Meinung, etwa von Führungskräften, blind übernommen wird.

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Tipp #3: Keine gestressten Entscheidungen

Um besser entscheiden zu können, hilft es außerdem, wichtige Entscheidungen nicht in Stresssituationen zu treffen. Das ist einfach gesagt: Oft drängt die Zeit oder es gehen Gelder verloren, sodass eine Entscheidung bald stehen muss. Psychologe und Neurowissenschaftler Jeansok Kim (University of Washington) weist dennoch darauf hin, dass Stresssituationen und Angst unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, deutlich beeinträchtigen – und das oft für mehrere Tage. Kann eine Entscheidung zumindest etwas vertragt werden, bis sich der Stress gelegt hat und Ruhe einkehrt, treffen wir oft die besseren Entscheidungen.

Tipp #4: Sich über bestehende Biases bewusst werden

Die bewusste Suche nach Biases und Achtsamkeit im Arbeitsalltag sowie in Situationen, in denen häufiger Beurteilungsfehler passieren, ist besonders wichtig. Es ist nicht ungewöhnlich oder gar verachtenswert, dass wir alle Überzeugungen und Erfahrungen sowie unbewusste Muster in uns tragen, auf deren Basis wir manchmal Fehlentscheidungen treffen.

Ein Fehler wäre es nur, wenn wir uns nicht darum bemühen, es künftig besser zu machen. Vor allem Selbstreflexion ist gefragt – und die „Fehlersuche“ bei uns selbst. Es ist Fakt, dass unsere Entscheidungs- und Wahrnehmungsprozesse immer auch eine subjektive Komponente haben und auf „Bauchgefühl“ basieren.

Fazit: Kopf und Bauch funktionieren zusammen

Auch wenn wir häufig davon sprechen, dass es Kopf- oder Bauchmenschen gibt: Gute Entscheidungen treffen wir oft nur, wenn wir subjektive und objektiv-logische „Kopfwahrnehmungen“ bei unseren Entscheidungen berücksichtigen. Außerdem hilft es, sich nicht auf starre Muster zu versteifen – vor allem nicht auf Führungsebene, wenn wir Vorbild eines Teams sind. Kreative Denkprozesse stoßen wir erst an, wenn wir uns an Veränderungen herantrauen und unsere bisher so gemütliche Komfortzone verlassen. Fehlentscheidungen werden wir auch weiterhin treffen – aber wir entscheiden besser, wenn wir aus ihnen lernen.

Bildnachweis: vgajic/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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