„Sorry, bin busy!“, sagen Chefs und Kollegen häufig. Ob sie auch produktiv sind? Man darf zweifeln.

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Von allem haben wir heute mehr. Wissen, Ressourcen, Wohlstand. Nur Zeit haben wir weniger. Zumindest scheint es so: Würden wir unsere Zeit nutzen und produktiv sein, wären wir weniger beschäftigt. Stattdessen sind wir immerzu beschäftigt – aber nicht unbedingt produktiv.

Das Always-Busy-Phänomen ist ein Paradoxon der neuen Welt. Sie hält mehr Angebote für uns bereit, welche das Leben erleichtern und uns mehr Zeit schenken sollen. Stattdessen sind wir nahezu immer beschäftigt. Ein Navigationssystem führt uns idealerweise schneller an unser Ziel. Eine Spülmaschine erledigt alles auf Knopfdruck. Sogar das Staubsaugen übernimmt ein kleiner Roboter. Aber die vielen Angebote machen auch ungeduldig. Wir fühlen uns gestresst, weil das Auto vor uns nicht schnell genug, die Kassiererin zu langsam, der Kollege zu gelassen oder der Pizzabote zu spät ist.

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Auch in der Arbeitswelt verhält es sich so: Es muss schneller gehen, weil wir unter Zeitdruck leiden. Doch das einzige Ergebnis, welches wir unter chronischem Dauerstress erzielen, ist, dass wir ausbrennen. Wir sind nicht produktiver, wenn wir beschäftigter sind.

„Keine Zeit“ als Statussymbol: Sind wir wichtiger, wenn der Terminkalender platzt?

Dass wir glauben, ein besseres Image zu haben, wenn wir mit „wenig Zeit“ oder „keine Zeit“ prahlen, glaubt zumindest die renommierte US-amerikanische Speakerin, Professorin und Autorin Dorie Clark. Während wir uns einerseits tatsächlich stressen, weil unsere Geduldsschwelle sinkt, findet auch eine Glorifizierung des vollen Terminkalenders statt. Getreu dem Motto: „Willst du gelten – dann mach dich selten.

Man wolle nicht nur gelten, so Clark, sondern sich auch an dem festhalten, was man kennt. Anstatt eine einzige neue Aufgabe auszuprobieren, klammern wir uns an Zeitfressern, die wir schon kennen, aber die zumindest Sicherheit bieten. Einfach mal einen potenziellen Geschäftskunden anrufen, über den eigenen Schatten springen und so auch etwas produktiver sein und Zeit sparen? Lieber nicht: Wir schieben es vor uns hin und widmen uns anderen Aufgaben, um beschäftigt zu bleiben.

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Auch um unangenehme Fragen nicht beantworten zu müssen, meint die Expertin, halten wir uns am liebsten beschäftigt. Fragen wie: „Bin ich mit meinem Job zufrieden?“, denn die Antwort könnte, wenn wir sie tatsächlich hören müssen, erschütternd sein und uns dazu zwingen, etwas zu verändern. Also sind wir lieber beschäftigt (statt mutig). Und unproduktiv noch dazu. Wirklich weiter kommen wir nicht. Man könnte auch sagen: Wir betreiben Selbstsabotage.

Produktiv oder ausschließlich beschäftigt: So unterscheiden sich Menschen

Ob im Job oder im privaten Alltag: Um eigene Muster zu erkennen oder diese im Umfeld zu identifizieren, hilft es, die typischen Merkmale beschäftigter und produktiver Menschen zu kennen. Denn sie unterscheiden sich voneinander, auch wenn dies im Berufs- oder Privatalltag manchmal untergeht.

1. Negativer vs. positiver Stress

Für Menschen, die behaupten, dass sie „schwer beschäftigt“ sind und keine Zeit finden, sind Aufgaben, die sie zu erledigen haben, oft mit negativem Stress verbunden. Sie nehmen die wenige Zeit, die sie haben, nicht als eine Art Antrieb war. Eher als Belastung. Negativer Stress („Distress“) kann chronisch werden. Im schlimmsten Fall macht er krank.

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Produktive Menschen, die trotz wenig Zeit viel schaffen, sind oft positiv motiviert. Positiver Stress (Eustress) wird mit Motivation, Freude, Kreativität und Erfolgserlebnis verbunden und dient so als Antrieb. In der Regel geht diese Art von Stress mit einer größeren Geduld und damit mit einer vergleichsweise ausgeprägten Frustrationstoleranz einher. Wir fühlen uns zumeist ausgeglichener.

2. Ablenkung vs. Fokus

Während beschäftigte Menschen sich schnell von äußeren Reizen unter Druck gesetzt fühlen und aus der Ruhe kommen, können produktive Menschen sich eher auf das Ziel fokussieren. Ablenkungen sorgen dafür, dass beschäftigte Menschen, ob im Privatleben oder im Beruf, Gefangene des Kreislaufs „Stress“ bleiben. Sie können nur schwer ausbrechen.

3. Träumen vs. Machen

Produktive Menschen sind für ihre Hands-on-Mentalität bekannt. Sie warten nicht zu lange und nutzen die Zeit, die ihnen gegeben wird, auch wenn der Zeitraum, den sie für eine Aufgabe haben, noch so klein ausfällt. Deshalb sind sie als echte Macher bekannt.

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Beschäftigte Menschen, die wenig Zeit haben, aber auch nicht vorankommen, neigen hingegen dazu, von ihren Zielen zu träumen, während die Zeit vergeht, ohne viel zu machen. Und schon fragt man sich: „Wo ist die Zeit bloß wieder hin?

4. Perfektion vs. Fehlertoleranz

Produktivität lässt sich nicht unbedingt mit perfektionistischen Ansprüchen vereinen. Im Gegenteil: Wer ausprobiert und Fehler macht, weiß, wie es beim nächsten Mal besser funktioniert. Der Arbeitsprozess kann so optimiert und die Produktivität nach und nach gesteigert werden.

Wer nicht vorankommt, leidet hingegen oft unter den eigenen perfektionistischen Ansprüchen, sodass die Beschäftigung zur Dauerbeschäftigung wird.

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Nicht nur beschäftigt sein: Wie können wir unsere Zeit wirklich nutzen?

Zugegeben, auch der Erwartungs- und Leistungsdruck der heutigen Arbeitswelt trägt dazu bei, dass wir uns in Sachen Produktivität im Kreis drehen. Trotzdem liegt der Umgang mit Stress auch in unserer eigenen Hand.

Wer nicht nur beschäftigt sein möchte, sondern etwas schaffen will, sollte in erster Linie ehrlich zu sich selbst sein: Warum halsen wir uns den Stress auf? Es gilt zu unterscheiden, ob er real ist oder ob wir ihn herbeiführen, um uns einer unangenehmen, vielleicht alles auf den Kopf stellenden Frage nicht widmen zu müssen. Denn beides ist möglich. In stressigen Lebensphasen, die uns viel abverlangen, müssen wir tatsächlich die Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Doch in Lebensphasen, in denen wir vor einer Entscheidung oder einer Frage davonlaufen, neigen wir manchmal dazu, so beschäftigt wie möglich zu bleiben.

Stress und Unproduktivität hängen bekanntermaßen eng zusammen. Haben wir die wirkliche Ursache für unseren Stress gefunden und können wir uns ihr stellen, ist dies zwar nicht einfach. Oft aber befreiend. Auch für unseren Produktivitätsmotor.

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Zudem kann es helfen, Hilfe anzunehmen. Ein simpler, aber wichtiger Tipp, wenn wir unter unserer eigenen Dauerbeschäftigung leiden. Diese kann auch aufgrund von Prokrastination entstehen: Weil wir alles aufschieben, wird es am Ende eng. Und es bleibt wenig Zeit für uns selbst und andere. Aktiv nach Hilfe fragen oder aber eine helfende Hand annehmen, die uns gereicht wird, kann Wunder bewirken, wenn wir es schaffen, uns zu überwinden.

Fazit: Wir schaffen mehr, wenn wir uns nichts vormachen

Wer sich beim nächsten Mal mit der Aussage, keine Zeit für etwas zu haben, herausreden möchte, sollte seine eigene, vielleicht routinierte Reaktion hinterfragen. Denn auch von Kollegen oder dem Chef wissen wir ganz genau: Wenn sie sagen, dass sie viel zu tun haben, kann sich hinter dieser Aussage vieles verbergen. Vielleicht haben sie wirklich keine Zeit. Vielleicht ist es eine Ausrede. Vielleicht laufen sie vor etwas davon.

Bei allem, was wir machen: Die Zeit tickt und vergeht. Das ist Fakt. Wir können sie weder verdoppeln noch stoppen. Aber anstatt Angst vor ihrer Vergänglichkeit oder Knappheit zu haben, sie als Ausrede zu verwenden und uns in den Always-Busy-Mode zu begeben, können wir innehalten, um sie sinnvoll zu nutzen.

Bild: kovaciclea/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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