Zeit und Geduld: Erstere brauchen Arbeitgeber. Letztere brauchen Bewerber, die wochen- oder monatelang warten und manchmal abspringen.

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Lange Einstellungszyklen, für die Bewerber einen ebenso langen Atem brauchen, haben zugenommen. Damit hat sich die sogenannte „Time-to-Hire“, also die Zeit, die vergeht, bis geeignete Jobkandidaten eingestellt werden, in den letzten Jahren insgesamt verlängert. Eine im Jahr 2015 erschienene Studie von Glassdoor machte bereits Jahre zuvor deutlich, dass vor allem Deutsche im internationalen Vergleich viel Durchhaltevermögen benötigen, da die Dauer bis zur Besetzung einer vakanten Stelle seit 2010 klar angestiegen ist.

2015 lag die durchschnittliche Wartezeit demnach bei über drei bis vier Wochen. Heute ist, je nach Branche, Position und Auswahlverfahren, manchmal mit noch mehr Wochen zu rechnen, bis eine Position besetzt wird. Zwei Monate und mehr können vergehen.

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LinkedIn-Auswertung: In diesen Branchen dauert es besonders lange

Nicht nur in Deutschland ist Warten angesagt. Aktuelle LinkedIn-Daten für den US-amerikanischen Arbeitsmarkt, die zwischen Frühjahr und Sommer 2023 erhoben worden sind, zeigen zum Beispiel, in welchen Branchen und Berufen es besonders lange dauert. Die Zeit, die von der Veröffentlichung eines Jobinserats auf LinkedIn bis zur Besetzung vergeht, diente als Basis für die Berechnung. Einige Ergebnisse:

  • Consulting: Wer als Berater tätig werden will, muss zum Beispiel mit durchschnittlich zwei Monaten bis zum Start rechnen.
  • Finanzen: Auch in der Finanzbranche können mehr als 60 Tage vergehen.
  • Marketing: Im Marketing dauert es nicht ganz so lange. Den Berechnungen nach ist mit ca. 48 Tagen zu rechnen. Dennoch handelt es sich auch hier um mehrere Wochen Wartezeit, die vergehen, bis Bewerber endlich ihren ersten Arbeitstag beginnen dürfen.

Tick-Tack: Warum lassen sich Unternehmen Zeit?

Verantwortlich für die längeren Einstellungszyklen sind aktuell vor allem zwei Punkte:

1. Maßnahmen zur Überprüfung der Eignung eines Bewerbers

Trotz Fachkräftemangel in einigen Branchen: Falschbesetzungen kosten immer, sodass verkehrte Personalentscheidungen zu einem kostenintensiven Fehler für Unternehmen werden können. Verschiedene Tests, Backround-Checks und langwierige Maßnahmen, die sich von Branche zu Branche und von Firma zu Firma unterscheiden können, sind deshalb oft verantwortlich für die langen Wartezeiten, die in den letzten Jahren zugenommen haben. Interne Entscheidungskriterien sind für Bewerber nicht unbedingt transparent oder zugänglich.

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Hinzu kommt, dass Einstellungszyklen sich vor allem dann in die Länge ziehen, wenn es sich um Positionen handelt, die mit größerer Verantwortung und damit auch mit einem höheren Risiko für eine Fehlbesetzung einhergehen. Leitungspositionen etwa werden nicht innerhalb weniger Tage besetzt, wohingegen nicht ganz so viel Zeit ins Land geht, wenn es sich um Stellen mit einem vergleichsweise niedrigem Anforderungsniveau handelt.

Zusammenfassend kann deshalb gesagt werden, dass die Überprüfung von wichtigen Qualifikationen und Daten sowie der Eignung eines Bewerbers eine große Relevanz für Unternehmen haben, die eine Stelle mit hohem Anforderungsniveau besetzen müssen und für die auch der Bewerberkreis kleiner ausfällt.

2. Der Bewerbermarkt

Je weniger qualifiziertes Personal für eine Stelle zur Verfügung steht, desto länger kann es dauern und desto komplizierter kann der Einstellungsprozess für Unternehmen werden. Nun könnte man meinen, dass Firmen gerade deshalb anspruchsloser sein müssten, um geeignete Arbeitnehmer zu bekommen, da es einen Kandidatenmarkt gibt.

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Aber: Nicht jeder Bewerber passt zur Stelle, sodass dennoch keine beliebige Auswahl erfolgt. Der Bewerbermarkt führt zusätzlich dazu, dass Bewerber freier entscheiden können und auch mitten im Prozess abspringen und sich umentscheiden, wenn sie ein besseres Angebot erhalten.

Candidate Journey: Je intransparenter der Prozess, desto schlechter

Intransparente Recruiting-Prozesse sorgen bei vielen Bewerbern für Unbehagen. Der Bewerbermarkt führt deshalb häufiger dazu, dass Jobkandidaten schneller abspringen, als es Unternehmen eigentlich lieb ist. Verläuft die Candidate Experience (Erfahrung der Bewerber) suboptimal, müssen Firmen deshalb vor allem bei der Candidate Journey, also der „Bewerberreise“ ansetzen – unabhängig davon, wie lange der Einstellungszyklus tatsächlich dauert. Denn eine enge Begleitung von Bewerbern kann dazu verhelfen, dass diese Gewissheit bekommen und eine längere Wartezeit so zumindest besser überstehen, wenn sie sich informiert fühlen.

Was Bewerber zum Beispiel abschreckt, ist eine fehlende Rückmeldung zum aktuellen Stand der Bewerbung. Auch eine patzige, unfreundliche Kommunikation kann für einen Rückzug sorgen. Wissen Bewerber grundsätzlich nicht, mit welcher Wartezeit sie rechnen können, wächst die Verunsicherung.

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Übrigens: Schon vor dem eigentlichen Bewerbungsprozess schaffen es einige Firmen, potenzielle Bewerber zu vergraulen, indem sie ein Anschreiben verlangen. Das hat eine aktuelle Studie der Königsteiner Personalmarketing-Agentur ergeben. Demnach verzichtete etwa ein Drittel der Teilnehmer auf eine Bewerbung, wenn ein potenzieller Arbeitgeber noch immer auf ein Anschreiben bestand.

Einstellungsprozess optimieren und verkürzen: Das können Unternehmen tun

Nicht immer wird es möglich sein, auf Bewerbungsunterlagen zu verzichten oder Prüfverfahren zu kürzen oder zu streichen. Dort, wo es jedoch machbar ist, sollten Unternehmen den Recruiting-Prozess überarbeiten. Einige Ideen:

1. Die eigene Time-to-Hire tracken

Wie lange dauert es tatsächlich von der Veröffentlichung eines Jobinserats bis zur Einstellung? Unternehmen, die ihre Time-to-Hire regelmäßig tracken und auswerten, wissen, wo es Optimierungspotenzial gibt. Wer darauf verzichtet, muss damit rechnen, dass es unübersichtlich und kompliziert bleibt. Wichtig ist, Punkte zu identifizieren, die am meisten Zeit in Anspruch nehmen, um diese bei Bedarf zu verbessern und die eigene Strategie effizienter zu gestalten.

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2. Nur anfordern, was zeitgemäß ist

Langwierige Bewerbungsprozesse mit komplizierten Anforderungen können Unternehmen schaden, wenn sie nicht dem Zeitgeist entsprechen und auch nicht überarbeitet werden. Viele junge Bewerber entscheiden sich eher für Firmen, die ihre Anforderungen zeitgemäß definieren. Sie verzichten zum Beispiel bewusst auf ein Anschreiben und nutzen moderne Bewerbermanagementsysteme (ATS), um die wichtigsten Informationen von Jobkandidaten zu erhalten.

Wer einen Vergleich machen möchte, sollte es mit einem schlanken Bewerbungsprozess versuchen: Der Einstellungszyklus wird sich künftig deutlich verkürzen, wenn qualifizierte Bewerber weniger Hürden überwinden müssen, um sich zu bewerben.

3. Rückmeldung geben

Für Personaler scheint dieser Schritt manchmal banal und unnötig, für Bewerber kann er alles bedeuten: die Rückmeldung nach der Bewerbung. Große Unternehmen nutzen automatisierte E-Mail-Antworten, um den Eingang einer Bewerbung zu bestätigen. Dies kann ein erster und einfacher Schritt sein, um den Recruiting-Prozess transparenter zu gestalten. Einige Firmen werden eine persönliche Bestätigung formulieren, wenn es sich zum Beispiel um besonders wichtige Stellen handelt.

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Wichtig ist, Bewerber auf dem Laufenden zu halten: nach der Bewerbung, nach dem Jobinterview oder etwa nach einem Test. Auch Absagen sollten zeitnah formuliert werden, um die Candidate Experience – auch wenn eine Absage selten eine gute Nachricht ist – angenehm zu gestalten.

Dies hat den Hintergrund, dass Bewerber und Ex-Arbeitnehmer ihre Erfahrungen heute online mit anderen potenziellen Jobkandidaten teilen, indem sie öffentlich Erfahrungsberichte verfassen. Positive Erfahrungen können dazu führen, dass Unternehmen es einfacher haben werden, ihren Personalauswahlprozess zu verbessern, weil sie von einem guten Image profitieren, wohingegen negative Erfahrungsberichte die Skepsis von Bewerbern fördern.

Für Bewerber gilt: Abwarten – und am Ball bleiben

Einstellungsprozesse werden für Bewerber nicht immer transparent sein und lange Einstellungszyklen führen tendenziell dazu, dass Jobkandidaten abspringen. Dennoch kann sich das Warten auszahlen: Auch wenn der Prozess sich hinzieht, ist nicht zwangsläufig mit einem negativen Ausgang zu rechnen. Bleibt die Rückmeldung aus, kann ein höfliches Nachfragen helfen, um Zweifel zu beseitigen.

Bild: Xavier Arnau/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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