Obwohl Personalnot herrscht, sehen sich viele qualifizierte Bewerber mit Absagen konfrontiert. Das sind die wichtigsten Gründe, warum potenzielle Jobkandidaten keine Chance bekommen.

Arbeitgeber beklagen sich über Personalknappheit und haben Schwierigkeiten damit, vakante Posten in ihren Unternehmen zu besetzen. Die Ergebnisse einer aktuellen ManpowerGroup-Studie zeigen, dass branchenübergreifend 86 Prozent der Betriebe Probleme damit haben, passende Jobkandidaten für eine offene Stelle zu finden. Weltweit sollen 4 von 5 Arbeitgeber vor dieser Herausforderung stehen und der Fachkräftemangel habe ein globales Hoch erreicht, heißt es weiter.

Gute Voraussetzungen für qualifizierte Bewerber, um ihren Traumjob zu finden. Könnte man meinen – aber ganz so einfach ist es in der Praxis nicht. Auch wenn Personal fehlt: Jobkandidaten müssen immer wieder mit Absagen rechnen. Defizite im Rekrutierungsprozess, aber auch Fehler aufseiten der Kandidaten sind oft die Ursache. HR-Experten und Forscher versuchen, die Gründe für das Phänomen zu erklären.

1. Arbeitgeber bemängeln die fehlenden Soft Skills von Bewerbern

Laut ManpowerGroup empfinden deutsche Arbeitgeber die Soft Skills von Bewerbern heute als unzureichend. So bemängeln 25 Prozent die Teamfähigkeit und 29 Prozent die emotionale Widerstandsfähigkeit sowie die Anpassungsfähigkeit. Neben der fehlenden Resilienz sei zudem zu wenig Disziplin und Verantwortungsgefühl vorhanden, finden 28 Prozent.

Pauschalisierungen sind kritisch zu betrachten. Dennoch kämpfen vor allem junge Bewerber damit, sich in dieser Hinsicht zu beweisen. Die Generation Z sieht sich häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, zu „faul“ oder „weich“ für die Arbeitswelt zu sein, was impliziert, dass sie nicht in der Lage seien, wichtige oder geforderte persönliche Fähigkeiten in Bezug auf ihre Arbeitsumgebung zu zeigen. Personalexpertin Lisa B. Frank (LBF Strategies) verrät in einem Artikel des Business Insiders, dass sie findet, es existiere ein Defizit in der „beruflichen Sozialisation“ dieser Generation.

Soft Skills zählen heute zu den wichtigen Schlüsselqualifikationen. Junge Bewerber, die zum Beispiel mit einer hohen Teamfähigkeit oder mit Anpassungsfähigkeit punkten, können deshalb eher mit einer Zusage rechnen. Einfach ist aber vor allem die Anpassungsfähigkeit nicht: Ein großer Generationskonflikt besteht darin, dass junge Arbeitnehmer viel Wert auf die persönliche Entfaltung legen. Häufige Arbeitgeberwechsel gehören deshalb zum New Normal, wenn eine Überanpassung verlangt wird.

2. Personalabteilungen fehlt es an Zeit und Mitteln

Dass nicht genug in die Arbeit von Personalabteilungen investiert wird und dass Personalverantwortliche oft überfordert sind, weil sie sich beispielsweise auf andere Aufgaben konzentrieren müssen, anstatt dem Kern ihrer Arbeit nachzugehen, zeigt eine Studie von Personio mit über 3.500 Befragten.

So seien rund 90 Prozent der Umfrageteilnehmer mit anderen Sachen beschäftigt, die häufig zu einem erheblichen Zeitverlust führten. Zudem wird bis heute zu wenig in HR-Abteilungen investiert, um diese zukunftsfähig in Sachen Bewerbungsprozess zu machen. Laut Personio seien vor allem deutsche Personalabteilungen „unterdigitalisiert“. Es ginge zu viel Zeit verloren, weil diese mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt seien und zudem zu wenig relevante HR-Tools zum Einsatz kämen.

Während zu viele ablenkende Aufgaben vorhanden sind, fehlt es hingegen an Wertschätzung für Mitarbeiter, die in der Personalabteilung arbeiten. Generell bedarf es in vielen Unternehmen der Überarbeitung des gesamten Bewerbungs- und Einstellungsprozesses, um bessere Entscheidungen zu treffen, effizienter zu arbeiten und die richtigen Bewerber zu finden. Würde außerdem mehr Zeit für die Weiterentwicklung von Personalentscheidern bleiben, wenn Zeitfresser ausfallen, könnten diese auch zu sinnvollen Ergebnissen kommen.

3. Ablehnungen erfolgen auch aufgrund von fehlender Sympathie

Wie eine Bitkom Research Studie belegt, lehnen rund 75 Prozent der Personalentscheider einen Kandidaten ab, wenn dieser schlicht und ergreifend unsympathisch wirkt. Grundsätzlich ist Sympathie die wichtigste Grundvoraussetzung für ein Vertrauensverhältnis. Bewerber machen sich unsympathisch, wenn sie beispielsweise verschlossen, unhöflich oder unehrlich sind. Das bedeutet auch, dass eine Absage auf Basis von subjektiven Kriterien erfolgen kann.

Auch wenn Fachkräftemangel herrscht: Aus objektive Sicht spielt Sympathie eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, wenn es sich um eine Stelle handelt, die Kundenkontakt oder die Zusammenarbeit mit Menschen voraussetzt. Hierfür sind eine sympathische Ausstrahlung, Charme und ein offenes Wesen oft Grundvoraussetzungen, die nicht jeder Bewerber während des ersten Eindrucks unter Beweis stellen kann.

4. Bewerber passen nicht zur Stellenbeschreibung, stellen sich aber dennoch vor

Eine Enttäuschung könnten sich diejenigen ersparen, die sich erst gar nicht auf eine Stelle bewerben, für die sie im Grunde nicht qualifiziert sind. Das könnte aber zu einer verpassten Jobchance führen. Denn dieser Punkt ist ein Dilemma: Auch Quereinsteiger werden gesucht. Während einige Unternehmen ihre Ansprüche bereits heruntergeschraubt haben, um sich dem Bewerbermarkt anzupassen, tun sich andere schwer damit. Manchmal aus gutem Grund, sofern spezielle Skills zwingend notwendig sind für einen Beruf.

Wenn es sich aber um eben solche zwingend notwendigen Voraussetzungen handelt, zu denen beispielsweise eine bestimmte Sprache oder eine spezielle Qualifikation gehören, können Personalverantwortliche und Recruiter oft nicht anders, als Bewerbern abzusagen.

5. Jobkandidaten und Unternehmen haben unterschiedliche Erwartungen

Arbeitnehmer wünschen sich Flexibilität und viele von ihnen wollen kürzertreten, während Arbeitgeber sich Bewerber wünschen, die Vollzeitstellen antreten und Mehrarbeit leisten. Die Bedürfnisse beider Seiten und die damit einhergehenden Erwartungshaltungen gehen weit auseinander.

Es ist auch ein Generationskonflikt zu beobachten, weil die Lebensrealitäten unterschiedlicher Generationen sich unterscheiden und es so auch zu unterschiedlichen Prägungen und den daraus resultierenden Erwartungshaltungen kommt: Während sich viele junge Leute heute mit Themen wie Nachhaltigkeit oder psychische Gesundheit beschäftigen, werden ältere Generationen von Werten wie Fleiß und Disziplin geprägt.

Dr. Elke Ahlers, Sozialwissenschaftlerin und Chefin des Referats „Qualität der Arbeit“ bei der Hans-Böckler-Stiftung sieht das Problem ebenfalls: Arbeitsbedingungen und auch die Vorstellung der Gehälter, so die Expertin, seien wenig kompatibel. So kann das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages auch daran scheitern, dass Bewerber zu viel Geld verlangen. Der heute so selbstbewusste Umgang mit dem Thema Geld führt nicht selten dazu, dass auch Berufseinsteiger die Messlatte etwas höher legen, obwohl viele Unternehmen es bisher eher gewohnt wahren, diese bei Neueinsteigern etwas niedriger zu legen.

6. Fehlentscheidung wegen fehlender Weitsicht, Vorurteilen und verzerrten Wahrnehmungen

Im Rekrutierungsprozess können Bewerber auch scheitern, obwohl sie manchmal selbst keine Verantwortung dafür tragen – Personalentscheider aber schon, sofern sie Talente nicht erkennen oder nicht richtig einordnen können. So werden überwiegend Entscheidungen auf Basis der vorhandenen Qualifikation, nicht aber auf Basis des Potenzials eines Bewerbers getroffen. Dabei kann eine Ablehnung eine teure Fehlentscheidung sein, sofern es sich um fehlende Skills handelt, die schnell erlernt werden können – etwa beim „Training on the job“, in Kursen oder in Weiterbildungen.

Ob der Nachname, ein Akzent in der Sprache oder das Bewerbungsfoto: Auch Vorurteile und verzerrte Wahrnehmungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund sind bis heute ein Problem und führen dazu, dass Bewerber abgelehnt werden. Nach Angaben von Indeed fühlen sich rund 53 Prozent der Menschen, die mit Migrationshintergrund einen Job suchen, benachteiligt. Fast 40 Prozent gaben bei der Indeed-Umfrage an, dass sie im Vergleich zu anderen Mitbewerbern in der Arbeitswelt mehr leisten müssen, um anerkannt zu werden.

Soziologe Prof. Dr. Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen beschreibt den Bewerbungsprozess als „größte Hürde für Migranten“, den sie bei potenziellen Arbeitgebern stemmen müssten.

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