Entschuldigungen sind wichtig. Aber nicht immer angebracht und gesund. Deshalb solltest du von einem inflationären Gebrauch absehen.

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„Sorry, Boss – meine Schuld!“

Entschuldigungen sind essenziell für Paarbeziehungen, in Familien und Freundschaften sowie auf der Arbeit. Wer einen Fehler macht und Verantwortung zeigen will, entschuldigt sich aufrichtig. Und das ist richtig so.

Dennoch gibt es einen Haken: Viele von uns neigen zu einer ungesunden Art des Entschuldigens – nämlich dem permanenten Drang, in fast jeder Situation ein „Sorry“ aussprechen zu müssen. Das Verhalten hat eine tiefe Bedeutung, weil es zumeist in unserer Kindheit wurzelt. Eine Zeit, die unsere Gedanken und Überzeugungen maßgeblich prägt und später über unser Handeln entscheidet.

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Das kann schließlich so aussehen:

  1. Irrationale Schuldgefühle: Wir entschuldigen uns für etwas, das wir nicht falsch machen, uns aber dennoch dafür verantwortlich fühlen.
  2. Zugehörigkeit und Verlustangst: Wir entschuldigen uns, um Beziehungen nicht aufgeben zu müssen.
  3. Angst vor Strafe: Wir entschuldigen uns, um schlimme Konsequenzen zu vermeiden, beispielsweise der „Entzug“ von Anerkennung durch den Chef.

Es geht früh los: Deshalb lernen wir, uns andauernd zu entschuldigen

Ein zu häufiges Entschuldigen hat entscheidende Nachteile: Ob auf der Arbeit oder im privaten Umfeld, wir wirken unterwürfig und signalisieren ein niedriges Selbstbewusstsein. Viel zu oft wird dieses Verhalten zugleich als moralisch wertvoll angesehen, um sozialen Normen entsprechen zu können und ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen. Alles aber leider verkehrt, wenn wir uns aus den falschen Motiven dafür entscheiden:

1. Irrationale Schuldgefühle: Wir entschuldigen uns für etwas, das wir nicht falsch machen

Schuld ist ein Thema, welches bereits zu Zeiten der frühen Psychoanalyse wichtig war. Psychoanalytiker Sigmund Freud thematisierte sie: Schuld, die soziale Emotion, die sich maßgeblich durch eine „Pflichtverletzung“ kennzeichnet. Es gibt aber einen Unterschied zwischen „realer Schuld“ und „unechter Schuld“, welche darüber entscheidet, ob eine Entschuldigung wirklich angebracht ist.

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In der Kindheit geht es los – denn hier entstehen irrationale Schuldgefühle, die in einer unechten Schuld wurzeln, die wir auch als Erwachsene forttragen. Ein klassisches Beispiel: Die Eltern streiten sich. Das Kind weint. Die Mutter ist überfordert und schreit das Kind an, es solle gefälligst leise sein – denn die Mutter könne andernfalls keinen klaren Gedanken fassen. Das Weinen soll aufhören, weil es als unangebracht und störend abgetan wird. Was beim Kind ankommt, ist das Gefühl, dass es schuld am Unglück der Mutter sei.

Es ist nicht wirklich schuldig, aber es entwickeln sich irrationale Schuldgefühle. Anders gesagt: Wenn wir nichts falsch gemacht haben, dem „Täter“ jedoch das Schuldgefühl abnehmen, entwickeln wir „irrationale Schuldgefühle“ und neigen dazu, uns häufiger zu entschuldigen, oft bis ins Erwachsenenalter. Das Verhalten setzen wir beispielsweise im Job fort, indem wir uns für alles entschuldigen, was denkbar ist, weil wir uns beispielsweise für den Wutausbruch des Chefs oder den Frust des Kollegen verantwortlich fühlen – obwohl dem nicht so ist.

2. Zugehörigkeit und Verlustangst: Wir entschuldigen uns, um Beziehungen nicht aufgeben zu müssen

Auch Verlustängste und die Frustration des emotionalen Grundbedürfnisses „Bindung“ und Zugehörigkeit in unseren jüngeren Jahren können dazu führen, dass wir uns häufiger als tatsächlich notwendig bei Menschen aus unserem Umfeld entschuldigen. Typisch sind Erfahrungen mit frühen Bindungspersonen, die verschwunden sind, nicht für uns da waren oder wenig auf uns eingegangen sind. Auch Erlebnisse während der Teenagerzeit, beispielsweise die erste Liebe, oder spätere Erlebnisse im Erwachsenenalter, tragen manchmal dazu bei, ein solches Verhalten zu entwickeln: Permanent hast du das Bedürfnis, dich entschuldigen zu müssen, um dazuzugehören und eine Beziehung bloß nicht zu riskieren.

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Kurz: Es handelt sich hier zumeist nicht um eine „aufrichtige“ Entschuldigung. Sondern um das Erbitten einer Verzeihung, die im Grunde nur notwendig ist, um die Gunst einer Person für sich zu gewinnen. Hilfreich ist das nicht unbedingt. Und auch nicht gesund. Denn wichtiger wäre es, einen Konflikt zuzulassen und ruhig auch zu streiten, um die Beziehung aus lauter Verlustangst nicht in falscher Harmonie zu leben.

3. Angst vor Strafe: Wir entschuldigen uns, um schlimme Konsequenzen zu vermeiden

Du entschuldigst dich häufig bei deinem Boss – und das für jede Kleinigkeit? Ein gutes Beispiel, um die Dynamik zwischen „Kindern und Autoritätspersonen“ noch einmal zu verdeutlichen, die wir bereits in jungen Jahren erleben. Aus Angst, bestraft zu werden, sprechen wir unnötige Entschuldigen in Situationen aus, in denen wir eigentlich alles richtig gemacht haben. Irrationale Schuldgefühle und Verlustängste kommen in diesem dritten Punkt zusammen, weil wir uns davor fürchten, bestraft zu werden.

Dabei wäre es vor allem für den Job klüger, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, selbstbewusst aufzutreten und sich nicht für jeden „Pups“ zu entschuldigen. Denn nur so können wir positiven Eindruck hinterlassen und werden häufiger als kompetent eingeschätzt. Dir wird mehr zugetraut, wenn auch du dir selbst etwas zutraust und das signalisierst.

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So kannst du „Entschuldigung“ besser einsetzen

Tipp #1: Bedanke dich

Wenn du einer Arbeit nachgehst, die Zeit erfordert, ist dies keinesfalls ein Grund, sich bei deinem Gegenüber, welches das Ergebnis erwartet, zwangsläufig zu entschuldigen. Dennoch neigen wir viel zu oft dazu, unsere Arbeit abzuwerten, indem wir uns dafür entschuldigen, dass diese – obwohl ganz normal ist – so viel Zeit in Anspruch genommen hat.

Was du tun kannst: Bedanke dich – und zwar für die Geduld, die dein Gegenüber aufbringt, um zu warten. Entschuldige dich aber nicht für eine Selbstverständlichkeit, wenn du im Grunde nichts falsch gemacht hast.

Tipp #2: Hinterfrage dein Bedürfnis, eine Entschuldigung äußern zu müssen

Hast du dich wieder dabei ertappt, wie du dich grundlos entschuldigen wolltest? Wenn du eine Entschuldigung aussprechen möchtest, solltest du ab sofort innehalten und dich zunächst fragen, welches Bedürfnis von dir dahintersteckt:

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  • Willst du Harmonie?
  • Hast du Angst, die Gunst des Chefs zu verlieren oder nicht gemocht zu werden?
  • Hast du das Gefühl, jemandem etwas schuldig zu sein?

Selbstreflexion kann dir dabei helfen, abzuwägen, ob eine Entschuldigung wirklich notwendig ist. Oder ob wir sie aus Angst, falschen oder eigennützigen Gründen aussprechen wollen.

Tipp #3: Übernimm echte Verantwortung für Situationen

Achte darauf, dich nur zu entschuldigen, wenn du wirklich einen Fehler gemacht hast oder dir ein Missgeschick unterlaufen ist, mit dem du jemanden verletzt oder in eine schlimme Lage versetzt hast. Denn das bedeutet, dass du echte Verantwortung übernimmst.

Erinnere dich zugleich immer wieder daran, dass du nicht verantwortlich bist für die Emotionen anderer. Wenn Partner, Vorgesetzte oder Kollegen einen schlechten Tag haben, ohne dass du etwas damit zu tun hast, bist du nicht schuldig – denn niemand kann permanent zufrieden und glücklich sein. Auch hier ist unsere eigene Kindheit oft ein klassisches Beispiel für unser Verhalten. Denn um unsere Eltern oder Bindungspersonen glücklich zu machen, verhalten wir uns „brav“ und sind besonders nett und unterwürfig.

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Fakt ist aber: Nicht alle werden dich mögen. Nicht alle müssen dich mögen. Wir werden nicht jede Situation retten können und Konflikte sind normal. Du bist nicht schuld an allem. Höre deshalb auf, so oft „Entschuldigung“ zu sagen – und schenke dir selbst einen höheren Wert.

Bildnachweis: Foto von Cup of Couple/Pexels.com