Sie sind clever, sie sind unerschütterlich und sie geben sich nur mit dem Besten zufrieden: Overachiever. Leistungsmenschen haben aber auch ein bedeutendes Problem.

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Matias Dalsgraad, ehemaliger McKinsey-Berater und Gründer von GoMore, soll den Begriff „insecure overachiever“ geprägt haben, welchen er in seinem Buch „Don’t Despair“ unter die Lupe nimmt. Auch er selbst bezeichnet sich als solcher. Übersetzen können wir die Bezeichnung mit „unsichere Überleister“. Zum besseren Verständnis und ohne das Wort „unsicher“, geht es aber zunächst um eine Spezies: die Leistungsmenschen.

Im schulischen Kontext werden mit dem Begriff Schüler beschrieben, die besserer Ergebnisse und Leistungen zeigen, als es ihr Intelligenztest vermuten lässt. Das bedeutet, dass sie nicht im klassischen Sinne hochbegabt sind, sondern eher bereit, durch besonderen Fleiß, aber auch durch praktische sowie ihre emotionale Intelligenz zu überzeugen.

In der Arbeitswelt werden mit der Bezeichnung Overachiever am ehesten erfolgshungrige Menschen beschrieben, die überdurchschnittlich viel leisten und damit auch erfolgreich sind. Für Arbeitgeber sind sie häufig die perfekten Jobkandidaten und beweisen nach der Einstellung, dass sich die Entscheidung auf jeden Fall rentiert.

Typisch für Overachiever sind folgende drei Merkmale:

1. Sie sind leistungsorientierte Workaholics

Üblicherweise kennzeichnen sich Überflieger dadurch, dass sie in ihrem Berufsleben besonders erfolgreich sind. Sie sind bereit, rund um die Uhr zu arbeiten, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Vor allem leisten sie aber überdurchschnittlich viel, um sich selbst immer wieder zu toppen. Man könnte sie in puncto Leistung auch als Perfektionisten beschreiben, denn sie selbst sind ihre größten Kritiker. Arbeit ist nicht etwas, das sie verabscheuen – sondern etwas, das sie, wenn sie überdurchschnittlich geleistet haben, innerlich zutiefst befriedigt.

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Lese-Tipp: Workaholics – wenn Arbeit zur Sucht wird

2. Sie gehen über ihre eigenen Grenzen

Jeder Mensch hat Ressourcen und Kapazitäten, die eine Grenze haben. Emotionale und körperliche Ressourcen werden bei Overachievern jedoch regelmäßig strapaziert, sodass sie in der Lage sind, sich selbst herauszufordern, ihre Kapazitäten zu erweitern und zu wachsen. Sie sind bekannt dafür, ausdauernd und produktiv zu sein.

3. Sie zeigen, was mit harter Arbeit möglich ist

Auch andere lassen sich von Overachievern mitziehen, wenn sie die Motivation und den Leistungsdrang spüren. Im Team können sie dafür sorgen, andere immer auf Trab zu halten und das Beste aus sich herauszuholen, um mithalten zu können. Anderen machen sie vor, was es bedeutet, hart zu arbeiten und sich über das erreichte Ergebnis zu freuen.

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Angst, Talent und harte Arbeit – das treibt „insecure Overachiever“ an

Zurück zum Begriff des unsicheren Leistungsmenschen. Laut Dalsgraad ist es die extreme Angst vor dem Scheitern, die zur harten Arbeit antreibt. Diese Angst, die daraus resultierende Arbeitsbereitschaft sowie das Können der Überflieger würden den unsicheren Leistungsmenschen ausmachen.

Er betont auch, dass es für Overachiever selbst herausfordernd sein kann, einer zu sein – für Unternehmen und Arbeitgeber aber sei es zumeist ein Segen, solche fleißigen Menschen im Team zu haben. Kein Wunder, denn es kann damit gerechnet werden, perfekte Ergebnisse zu erhalten. Fragwürdig bleibt nur, ob Arbeitnehmer tatsächlich aus Angst heraus handeln sollten. Oder ob es möglich wäre, stattdessen eine gesunde Arbeitskultur zu etablieren, die zu Ruhezeiten anregt und auch dazu, einen Gang herunterzuschalten.

Das Problem: Overachiever wissen nicht, wann es zu viel ist

Der extreme Antrieb, den die nahezu unerschütterlichen Leistungsmenschen spüren, ist wie eine Art Beflügelung: Sie fliegen hoch hinaus, aber der Absturz kann gefährlich werden. Nämlich dann, wenn sie direkt auf die Katastrophe namens Burnout zusteuern.

Overachieving ist deshalb nicht unbedingt eine erstrebenswerte Art von Arbeitsmoral, sondern vor allem ein Gefährdungsfaktor für diejenigen, die vom Perfektionismus und dem Drang, nach mehr zu streben, nicht loslassen können.

Eine Arbeitnehmerbefragung der pronova BKK („Betriebliches Gesundheitsmanagement 2018“) hat gezeigt, dass sich zum Zeitpunkt der Befragung jeder zweite Arbeitnehmer als Burnout-gefährdet eingestuft hat. Mehr als 50 Prozent würden bereits gelegentlich unter körperlichen Symptomen leiden. Dazu zählen zum Beispiel Rückenschmerzen. Aber auch Schlafstörungen und innere Anspannung werden genannt.

In unserer heute so leistungsorientierten Arbeitswelt sind Overachiever deshalb nicht nur zu Hause, sondern auch diejenigen, die durch ihre Gedanken und ihr Handeln besonders gefährdet sein könnten.

Die Mentalität der Überflieger: Warum wollen Overachiever so viel?

Overachievement birgt manchmal die Gefahr, das Team in die Erschöpfung laufen zu lassen, wenn man so will. Denn: Wer auch andere zu Höchstleistungen antreibt, erwartet einen gewissen Standard – und dieser kann besonders schwer zu erreichen sein, weil auch das Perfekte nur selten ausreicht. Es ist also nicht nur eine Bereicherung, die Überflieger im Team zu haben, sondern auch ein Kampf.

Hinter dem Gedanken, immer mehr zu erreichen und immer besser zu sein, als beispielsweise das „alte Ich“, könnte eine tiefe Selbstwertproblematik stecken. Gemeint ist nicht der innere Antrieb und der Erfolgshunger, der bei fast jedem Menschen auftaucht. Sondern die Extreme: Wenn davon ausgegangen wird, dass man selbst nur einen Wert hat, der durch Leistung definiert werden kann, ist das Streben nach Perfektionismus und Erfolg verständlich. Kurzfristig erreichen wir eine Selbstwerterhöhung. Bis alles wieder von vorne beginnt.

Die Mentalität, dass man sich etwas verdienen müsse, wird häufig mit Overachievern in Verbindung gebracht. Ganz nach dem Motto:

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Wer nicht leistet, verdient auch nichts Gutes – und ist auch nichts wert.

Wie sollten Arbeitgeber mit Overachievern umgehen?

Freie Zeit – „normale“ Arbeitnehmer würden alles dafür tun, um mehr von ihr zu haben. Nicht die Overachiever. Einer der wichtigsten Tipps für Arbeitgeber, die insecure Overachiever Dalsgraad ihnen an die Hand gibt, ist der, Leistungsmenschen auch mal aufzuhalten, bevor alles zu viel wird. Der Autor betont, dass es notwendig sei, diesen Menschen freie Zeiten zu gönnen und auf ausreichend Pausen zu achten.

Zugleich weist er darauf hin, dass sie die Chance bekommen sollten, an herausfordernden Projekten zu arbeiten. Der Grund ist simpel: Mit allem anderen würde das Unternehmen lediglich Geld sowie die Zeit des Überfliegers verschwenden, so der Autor weiter. Zudem sei es wichtig, die kreative Seite zu fördern. Dies könne mit Dingen, die kulturellen Unterhaltungswert haben, erreicht werden. Gelegentlich sollten Arbeitgeber sich deshalb bemühen, zu Kunst, Film oder auch Musik anzuregen, weil Overachiever sonst nur ans Arbeiten denken würden.

Bedeutet zusammenfassend: Wer zu Overachievement neigt, kann einerseits Großes für sich selbst, für das Team und für das Unternehmen leisten. Andererseits fehlt die Bremse, die wir benötigen, um uns selbst stoppen zu können. In Extremfällen leiden Körper und Psyche unter Überlastung, weil beides eine Grenze hat, die in Dauerschleife überschritten wird.

Um dem vorzubeugen, sollten Arbeitgeber ein Auge auf ihre Überflieger haben. Das hat ganz nebenbei einen positiven Effekt: Leistungsmenschen bekommen mit, dass jemand ihre Leistung wirklich sieht und auch wertschätzt, sich aber gleichzeitig um sie kümmert. Für diejenigen, die jeden Tag mehr als 100 Prozent geben, ist diese Anerkennung und Fürsorge wie Balsam für die (überarbeitete) Seele.

Bildnachweis: Viacheslav Peretiatko/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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