Eine reine Wellness-Oase darf der Job trotz moderner Mitarbeiterführung nicht sein: Wer Angestellte zu sehr verhätschelt, riskiert laut Psychologen und HR-Experten Armin Trost, zur „Corporate Nanny“ zu werden.

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Personalmangel: Arbeitgeber stehen unter Druck und greifen zu drastischen Maßnahmen

Eine moderne Mitarbeiterführung ist vor allem in Zeiten des Personaldefizits besonders gefragt. Modern bedeutet, empathisch und auf Augenhöhe zu führen. Der Versuch, Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden, kann jedoch gehörig nach hinten losgehen – wenn Arbeitgeber anfangen, Arbeitnehmer zu pampern. Wer es mit dem Verwöhnen übertreibt, läuft Gefahr, dass Angestellte sich zurücklehnen und unselbstständig werden.

Psychologe Armin Trost, Professor für Human Resource Management (HRM), spricht gar davon, dass Unternehmen sich zunehmend zu einer Art „Corporate Nanny“ entwickeln: Ihre Angestellten, so Trost, würden Unternehmen wie „Kleinkinder“ behandeln. Dazu gehöre das Wickeln und Füttern.

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Milde Worte in schwierigen Situationen, Grenzen nicht ganz so starr sehen und auch mal ein Auge zudrücken – alles erlaubt und sogar wichtig. Die Dosis macht in solchen aber Fällen das Gift: Es kann passieren, dass Mitarbeiter sich von ihrer egomanischen Seite zeigen, wenn sie exzessiv verwöhnt werden. Psychologe Trost weist darauf hin, dass Unternehmen zwar die Entscheidung treffen könnten, ihre Mitarbeiter um jeden Preis zu verwöhnen. Wundern sollte man sich jedoch nicht, so der HR-Experte, wenn als Resultat narzisstische Züge zum Vorschein kommen.

Verhätscheln: Die Motive hinter dem Verhalten

In vielen Branchen ringen Arbeitgeber seit geraumer Zeit nach Fachkräften. Es entsteht ein Arbeitnehmermarkt, der dazu führt, dass vor allem Bewerber und Angestellte die Zügel in die Hand nehmen, eine höhere Wechselbereitschaft zeigen und bessere Arbeitsbedingungen fordern. Dazu gehört kompetente Führung und das Eingehen auf Mitarbeiterbedürfnisse.

In der Hoffnung, im Wettbewerb als Sieger herauszugehen, beginnen Unternehmen, mehr Wert auf ein starkes Employer Branding zu legen. Manchmal jedoch mit einer extremen Haltung. Die Rollen verschwimmen, weil Grenzen nicht mehr eingehalten werden. Sie verwöhnen, verneinen keine Wünsche, führen locker, wollen um jeden Preis „lässig“ und „cool“ auf junge Arbeitnehmer wirken.

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Was aber sind die konkreten Motive? Folgende Gründe liefern eine Erklärung:

  • Sie wollen Konflikte vermeiden, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass Mitarbeiter kündigen.
  • Sie wollen Lieblingsmitarbeiter, die besonders herausstechen, langfristig und um jeden Preis binden.
  • Sie wollen eine gute Arbeitgebermarke aufbauen.
  • Sie fürchten um ihren Ruf als Unternehmen/Arbeitgeber/Führungskraft.
  • Sie wollen vergangene Fehler ausgleichen, weil sie die Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen als gefährdet ansehen.

Die Folgen, wenn Arbeitgeber in die Extremen gehen

Starre Hierarchien gehören zwar abgeschafft – aber dennoch bedarf es einer gesunden Balance in der Nähe-Distanz-Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Zu scharfe Worte schlagen Mitarbeiter in die Flucht. Aber wenn diese zu mild werden, könnte Empathie mit Schwäche verwechselt werden.

Die konkreten Folgen aus psychologischer Sicht:

#1: Die Frustrationstoleranz sinkt

Ob Geduld, Belastbarkeit oder Impulskontrolle: Schon im Kindesalter können wir frustrierende Erlebnisse nicht gut aushalten, wenn wir uns daran gewöhnt haben, dass uns jede Aufgabe und jeglicher Schmerz abgenommen wird. Auch Führungskräfte, die dazu tendieren, Konflikte zu vermeiden und Mitarbeiter übermäßig zu pampern, fördern ein solches Verhalten. Unsere Frustrationstoleranz als Mitarbeiter sinkt.

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#2: Verlust des Verantwortungsbewusstseins

Mitarbeiter dürfen sich fast alles erlauben, wenn sie keine Konsequenzen fürchten müssen – auch nicht für ein Fehlverhalten. Angestellte müssen sich zudem weniger bemühen und werden unselbstständig. Sie fühlen sich nicht mehr verantwortlich für ihre Aufgaben und das Erreichen von gemeinsamen Zielen.

#3: Fehlende Professionalität

Neben einer Arbeitsbeziehung werden private Beziehungen zum Chef aufgebaut, die eine professionelle Distanz erschweren. Wenn die Grenzen zwischen dem Beruflichen und Privaten verschwimmen, drohen ernste Konsequenzen, die sich oft in Form von überhöhten Erwartungshaltungen zeigen – und diesen unrealistischen Erwartungen, etwa einer fast überschwänglichen Loyalität, kann niemand gerecht werden.

#4: Verlust der Autorität und Seriosität

Aufgaben und Deadlines verlieren an Wichtigkeit, weil Führungskräfte nicht mehr ernst genommen werden. Auch wenn klassische Rollenbilder veraltet sind, ist zumindest die klare Verteilung von Verantwortlichkeiten wichtig. Wird der Chef nicht mehr als Chef wahrgenommen, sondern als Kumpel, gehen Autorität und Seriosität verloren.

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#5: Durst nach Bewunderung und Anerkennung zeigt

Jeder Mensch hat eine – mal stärker, mal weniger stark ausgeprägte – narzisstische Seite. Dieser Anteil wird gefüttert, wenn wir Komplimente und Bewunderung bekommen; verwöhnt und vergöttert werden. Übertreiben Führungskräfte es mit dem Verhätscheln, fördern sie diese Seite ihrer Mitarbeiter.

Keine Frage: Wertschätzung ist schon länger kein „nice-to-have“ mehr, sondern Pflicht jeder guten Führungskraft. Falsche, übertriebene Wertschätzung, die jedoch nur dem Zweck dient, Mitarbeiter durch Bewunderung und dem Erfüllen aller Wünsche an sich zu binden, ist kontraproduktiv. Besser ist es, ein aufrichtiges „Danke“ auszusprechen, rücksichtsvoll miteinander umzugehen und dennoch authentisch zu bleiben.

Zu viel des Guten: Das Ergebnis ist ein „Monkey Business“

Wenn das „Nein“ zum Fremdwort wird, Führungskräfte sich nicht mehr durchsetzen können und die Machtverhältnisse sich auf toxische Weise drehen, anstatt dass eine gute Balance entsteht, kann es zum „Monkey Business“ kommen; eine Beschreibung, die von den US-amerikanischen Autoren Donald L. Wass und William Oncken Jr. stammt.

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Aufgaben und Jobs, die delegiert werden müssen, können wir uns demnach als Affen vorstellen, die wir auf unserem Rücken tragen – und die Verantwortlichen müssen sich kümmern, tragen eine schwere Last, sorgen sich darum, die Affen zu füttern und zu streicheln. Geben Mitarbeiter solche Aufgaben wieder an den Chef ab, weil sie selbst nicht weiterkommen, übernimmt die Führungskraft – zusätzlich zu den „eigenen Affen“ – immer wieder die Affen, also die Aufgaben der anderen.

Es entsteht ein Monkey Business. Auch das ist eine negative Konsequenz, die entsteht, wenn Verwöhnung dazu führt, dass Mitarbeiter selbst keine Verantwortung mehr tragen möchten.

Wie kann Mitarbeiterführung funktioniert, ohne zu verhätscheln?

Die Rollenverteilung der „alten“ Arbeitswelt war unmissverständlich: Führungskräfte führen – und Mitarbeiter haben sich einzufügen. Unternehmen geben Aufgaben, Werte und Rollen vor – Angestellte müssen diese umsetzen. Weil die Dynamik sich aufgrund des Fachkräftemangels sowie den Forderungen der Generationen Y und Z im Wandel befindet, droht eine extreme Umkehr.

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Der einzig richtige Weg ist jedoch, von Extremen abzusehen: Die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Arbeitnehmern sollte auf Augenhöhe stattfinden. Niemand muss sich extrem anpassen – aber auch nicht extrem ablehnen. Es geht darum, Bedürfnisse deutlich zu kommunizieren und zugleich Kompromisse zu finden.

Vor allem aber ist es wichtig, Raum für Austausch zu schaffen. Was jetzt wichtig ist:

  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten in der Lage sein, Grenzen aufzuzeigen.
  • Toxische Positivität bedeutet, Konflikte zu verdrängen. Das sollte nicht passieren.
  • Besser ist es, einen konstruktiven Austausch zu fördern und sich als Führungskraft zu trauen, die Meinung zu äußern, ohne in Schuldgefühle zu versinken.
  • Führungskräfte sollten Arbeitnehmern nicht jegliche Verantwortung abnehmen, sondern ihnen Aufgaben zutrauen.
  • Fehlverhalten, etwa Mobbing, sollten Führungskräfte nicht dulden und entsprechende Konsequenzen aufzeigen – auch wenn sie sich von ihrer empathischen Seite zeigen.
  • Diskussionen sollten auf Augenhöhe stattfinden, ohne dass eine Partei unterwürfig sein muss.

Fazit: Auf die Dosis kommt es an

Gute Mitarbeiterführung setzt nicht voraus, Mitarbeiter zu betüdeln, mit falschen Komplimenten um sich zu schmeißen oder Fehlverhalten zu tolerieren. Gute Mitarbeiterführung bedeutet, authentisch zu bleiben, respektvoll miteinander umzugehen und über Bedürfnisse zu sprechen. Es gilt, Kompromisse zu finden, die nicht zulassen, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sich dramatisch unterordnen müssen.

Bildnachweis: Luis Molinero/shutterstock.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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