Meeting-Marathons, Regeln en masse, haufenweise Schulungen – und kein Ende in Sicht. Vier gute Gründe, warum Führungskräfte sich von der Einstellung „mehr ist mehr“ verabschieden sollten.

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Superlative dominieren den heutigen Zeitgeist – und die Führungskultur

Es gibt sie, die Chefs, die „sutsche“ machen können – also: langsam, entspannt, weniger. Der Begriff stammt aus dem Norddeutschen. Sutsche meint, sich keinen Stress zu machen, es einfach mal etwas langsamer angehen zu lassen.

Es gibt aber auch die Chefs, die nach dem Motto leben, von allem mehr zu machen und mehr zu wollen. Mehr Meetings einberufen, mehr Aufgaben verteilen, mehr Technologien und Tools integrieren, mehr Personal einstellen, mehr Schulungen durchführen. Hier ist nichts mit sutsche.

Eine solche Führungskultur spiegelt den heutigen Zeitgeist der Superlative. Im Fokus stehen zunächst vermeintlich positive Aspekte, die wir zum Beispiel Wachstum und Fortschritt nennen. Wir gehen davon aus, dass wir mit mehr immer mehr erreichen. Wenn Führungskräfte permanent leisten und Leistung erwarten, suggerieren sie, dass nur Leistungsfähigkeit zählt.

Die Gründe für diese Verhaltensmuster sind sicherlich zu komplex, sodass wir sie nicht einfach auf ein oder zwei Begriffe und Erklärungen reduzieren können. Einen Erklärungsversuch ist es aber wert:

FOMO – Fear Of Missing Out

Hast du schon einmal etwas von „FOMO“ gehört? Gemeint ist „die Angst, etwas zu verpassen“ (engl. „Fear Of Missing Out“). Seit dem Jahr 2013 steht das Akronym FOMO im Oxford Dictionary. Im Silicon Valley soll dieses Phänomen erstmals entdeckt worden sein und häufig wird es mit den sozialen Medien in Verbindung gebracht. Oder mit der Befürchtung, eine Nachricht zu verpassen, nicht ständig erreichbar zu sein, die falsche Entscheidung zu treffen, mit den anderen nicht mithalten zu können.

Die Angst, falsche Entscheidungen zu treffen und etwas zu verpassen, ist jedoch eine alte und kein Phänomen der Neuzeit. Nun tritt sie aber in Zeiten, in denen wir endlose Auswahlmöglichkeiten in sozialer, beruflicher und ökonomischer Hinsicht haben, besonders prägnant in Erscheinung.

Auch in der Chefetage: Mehr Möglichkeiten, mehr Geld und mehr Technologien, mehr digitale Skills, die es zu erlernen gibt, mehr Chancen, noch erfolgreicher zu werden und noch besser als die anderen zu sein, sind wunderbare Anreize, noch mehr zu stapeln. Noch höher zu stapeln.

Die Autoren, Verhaltensforscher und Gründer Ashley Whillans, Damian Wisniewski und Dave Feldman beschreiben zum Beispiel das „Meeting-FOMO“. Die Teilnahme an Meetings wird demnach mit Produktivität gleichgesetzt. Alles wird verstärkt durch das Verhalten der Vorgesetzten, welche eine Teilnahme an den Meeting-Marathons entsprechend würdigen. Oder eine Nicht-Teilnahme damit strafen, dass sie die Meinung derer übergehen, die nicht anwesend waren.

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Was treibt eigentlich die Konkurrenz?

Der Vergleich mit anderen ist auch Teil dieser Angstkultur. Wie macht es die Konkurrenz? Wir schielen mal eben kurz rüber, um uns gleich schlechter zu fühlen, gaukeln aber vor, uns motivieren zu wollen. Also: Was treiben die anderen so? Machen sie es anders, besser, schneller? Werden sie erfolgreicher sein? Der mediale Druck verstärkt solche Gedanken und den Leistungsdruck. Denn der Erfolg anderer ist ständig visuell und virtuell sichtbar. In einer Welt, in der wir einfach nicht „off“ gehen können. In der wir süchtig danach sind, unseren Wert über den Vergleich mit anderen zu definieren.

Angst, die Kontrolle abzugeben

Ein anderer Grund, nicht kürzertreten zu können, immer mehr zu wollen und auch die Beschäftigten beschäftigt zu halten, ist die Angst vor dem Kontrollverlust. Während einige Führungskräfte es wunderbar hinbekommen, ihren Mitarbeitern im Homeoffice zu vertrauen, bekommen es andere weniger gut hin.

Meeting-Marathon sind jetzt Programm, um Kontrolle zu demonstrieren – auch wenn das eine oder andere Treffen unnötig ist. Aber auch das Zuschütten mit Aufgaben, Terminen, Herausforderungen und Deadlines zeugt von der Angst, die Kontrolle verlieren zu können.

Möglicherweise ist es ein Zeichen der Überforderung. Vielleicht kennst du es: Alles ist zu viel – und trotzdem versuchst du, die Dinge unter Kontrolle zu halten, Meetings einzuberufen, Deadlines rauszuhauen, Aufgaben zu verteilen und dir selbst gut zuzureden.

Wie geht es besser?

Wir wollen nicht den Teufel an die Wand malen. Übereifrige Chefs haben ihre guten Seiten. Sie sind zielstrebig, always up to date und voller Energie. Sie probieren neue Sachen aus und teilen sie mit ihren Angestellten. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Dieser ständige Eifer kann zu viel werden.

Ständig Produktivität zu erwarten, bedeutet nicht, mehr Erfolge verbuchen zu können. Eher im Gegenteil. Wie kann das alles also besser funktionieren? Es lohnt sich, einfach mal hinzuschauen. Wir haben einige Tipps.

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Tipp #1: Schreibe LANGEWEILE manchmal groß

Richtig gelesen: Deine Mitarbeiter sollten sich auch mal langweilen dürfen. Das hat einen einfachen Grund.

In einem Interview mit dem AOK-Gesundheitsmagazin äußert sich Bildungspsychologen Dr. Thomas Götz zum Thema Langeweile. Demnach sollten wir sie bewusst wahrnehmen. Denn so würde sie uns einen Veränderungswunsch signalisieren. Sie kann also einen wichtigen Teil dazu beitragen, unsere Situation und bestehende Wünsche zu reflektieren. Auch von Führungskräften wird Selbstreflexion erwartet – also die Fähigkeit, über Handlungen, Wünsche und das eigene Verhalten nachzudenken.

Wichtig: Langeweile sollte nicht zum Dauerzustand werden. Denn zu viel davon kann sich kontraproduktiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken.

Tipp #2: Halse deinen Beschäftigten kein „busy work“ auf

Mitarbeiter müssen ständig anwesend sein, ständig Aufgaben erledigen und ständig etwas tun? Vermeide busy work. Gemeint ist die Arbeit, die verteilt wird, um Angestellte beschäftigt zu halten. Im Grunde ist diese Art von Arbeit lediglich Zeitvertreib.

Besser: Teile ihnen endlich mit, dass sie auch mal weniger machen dürfen – und erlaube dir diesen wichtigen Schritt auch selbst. Um die Produktivität deiner Mitarbeiter zu erhöhen, sollten sie ausgeruht sein und Energie tanken dürfen, um anschließend die wirklich wichtigen Aufgaben erledigen zu können.

Was du statt busy work machen kannst:

  • Beschäftigten einen freien Nachmittag gönnen
  • dir selbst etwas Gutes tun
  • Angestellte fragen, was sie gerade beschäftigt
  • Gedanken zum Thema „Pausenkultur“ machen

Tipp #3: Reflektiert eure Führungskultur

Was wünschst du dir für dein Unternehmen? Was wünscht sich das Management-Team? Was wollen die Mitarbeiter? Und wie trägt die aktuelle Führungskultur dazu bei?

Reflektiere deine eigenen Werte und schaue, inwiefern sie mit den Wünschen und Bedürfnissen deiner Mitarbeiter klargehen. Zu einer guten Führungskultur gehören oft folgende Faktoren:

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  • ehrliche Kommunikation
  • Zuverlässigkeit und Vertrauen
  • tolerante Fehlerkultur
  • Kontrollverzicht
  • gemeinsame Werte

Tipp #4: Mach mal sutsche

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was passiert, wenn du dich einfach mal zurücklehnst? Gerade Führungskräfte tragen viel Verantwortung. Das Verhalten, alle und sich selbst mit Arbeit zuzuschütten, immer wieder Neues mit an Bord zu nehmen, mehr Personal einzustellen und immer mehr zu wollen, könnte das Schiff zum Sinken bringen. Denn dieses Verhalten könnte auch einfach der verzweifelte Versuch sein, die große Verantwortung mit schrägen Methoden zu kompensieren.

Mehr ist nicht immer mehr. Und es wird auch nicht deine Probleme lösen oder für mehr Produktivität oder Erfolg sorgen, wenn du oder deine Beschäftigten ausbrennen.

Also: Mach mal sutsche. Oder: „Hakuna Matata“ – alles in bester Ordnung.

Bildnachweis: Thomas_EyeDesign/istockphoto.com

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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