Jeder zweite Klient sei im neuen Job frustriert, schreibt Karriereberater Dr. Bernd Slaghius. Der Grund: voreilige Entscheidungen, die Stelle anzunehmen.

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Neue Kollegen, neuer Chef, neue Chance: Jobwechsler erhoffen sich oft Großes, wenn sie ihre Unterschrift unter den neuen Arbeitsvertrag setzen. Ernüchterung ereilt sie, wenn sie voreilig handeln. Der ausgebildete systemische Coach, Wirtschaftswissenschaftler und Karriereberater Dr. Bernd Slaghius bezeichnet das als Blind Signing (blindes Unterschreiben).

Er beobachte das Phänomen in letzter Zeit immer wieder. Denn viele seiner Klientinnen und Klienten kämen zu ihm, wenn sie gerade eine neue Stelle angetreten hätten. In seinen zwölf Jahren als Arbeitscoach habe er eine solche Situation mit der Zahl an übereilten Jobneuanfängen und Fehlentscheidungen nicht erlebt. Und damit sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber gemeint.

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Warum neigen Bewerber und Arbeitgeber zum Blind Signing?

Dass es in Deutschland Motivationsprobleme gibt oder dass die Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer hoch ist, ist immer wieder zu lesen. Die hohe Wechselbereitschaft und die Suche nach einem Arbeitsplatz, der Arbeitnehmern mehr bietet, als das, was sie bekommen, ist deshalb keine unerwartete Entwicklung. Aber treffen wir deshalb übereilte Entscheidungen, die sich als Fehlentscheidungen entpuppen?

Zumindest deutet das Phänomen Blind Signing darauf hin. Der Grund sei eine zu kurze oder nicht ausreichende Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, so Slaghius. Sowohl Arbeitgeber als auch Bewerber neigten demnach dazu, einen Vertrag voreilig abzuschließen, obwohl Informationen fehlen; sie sich noch nicht gut genug kennen. Oder Ungewissheit in Bezug auf die Erwartungen der jeweiligen Gegenseite vorherrscht.

Wie wirkt sich Blind Signing auf Unternehmen und Arbeitnehmer aus?

Wer sich wegen einer Fehlentscheidung in ein Coaching begeben muss, steckt häufig schon im falschen Job fest. Aber nicht nur Arbeitnehmer leiden unter der Fehlentscheidung. Frust und Ernüchterung machen sich auch bei Unternehmen breit, die Geld und Zeit in den Rekrutierungsprozess stecken und neue Arbeitnehmer einarbeiten, nur um sie in der Probezeit wieder zu entlassen. Das vorherrschende Personaldefizit am deutschen Arbeitsmarkt verschärft die Situation für Arbeitgeber.

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Auf der anderen Seite stehen die desillusionierten Arbeitnehmer, die ihre Sachen erneut packen können, wieder am Anfang ihrer Suche. Neben finanziellen Ängsten wird die Psyche durch die Frustration immer wieder belastet, sodass die Jobsuche sich erschwert und jegliche Hoffnungen im Keim erstickt werden. Immerhin: Vielleicht hilft es, die bittere Pille zu schlucken, um beim nächsten Mal reflektierter an die Sache heranzugehen und sich etwas mehr Zeit zu lassen.

Was hilft gegen Blind Signing?

Die gute Nachricht: Es gibt Wege, das Risiko für Enttäuschungen auf beiden Seiten zu minimieren, auch wenn sie sich nicht gänzlich verhindern lassen. Auf der einen Seite sind Arbeitgeber gefragt. Ein transparenter Rekrutierungsprozess ist heute ein Must-have, aber leider noch immer kein Standard. New Work erfordert jedoch Offenheit und Transparenz, mehr Gespräche auf Augenhöhe und weniger Silodenken.

Auf der anderen Seite ist es auch die Verantwortung von Bewerbern und Arbeitnehmern, Fragen zu stellen, nachzuhaken und reflektierte Entscheidungen auf Basis der Informationen, die sie bekommen, zu treffen. Und: Die Intuition täuscht uns selten, weshalb wichtige Entscheidungen immer eine gute Balance zwischen Bauch und Kopf bilden sollten.

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Weitere Möglichkeiten für Arbeitnehmer, Blind Signing vorzubeugen:

1. Vertragsdetails prüfen und Erwartungen kommunizieren

Mündliche Aussagen haben zwar auch Gewicht – aber sie können von dem, was im Arbeitsvertrag steht, abweichen. Wer sichergehen will, kein blaues Wunder zu erleben, prüft deshalb die Vertragsdetails.

Hinzu kommt die Praxisrealität, die in vielen Unternehmen keine Seltenheit ist: Obwohl der Job im Bewerbungsgespräch wunderbar klang, können die Anforderungen beim Ausführen des Jobs manchmal überfordernd sein. Deshalb ist die Kommunikation der eigenen Erwartungen bereits im Jobinterview eine Chance, die eigenen Annahmen mit denen des potenziellen Arbeitgebers abzugleichen.

Übrigens: Wer sich in Bezug auf Vertragsdetails nicht sicher ist, kann die Hilfe eines Beraters oder eines spezialisierten Anwalts in Anspruch nehmen. Denn auch das kann Augen öffnen und Jobfrust ersparen.

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2. Rosarote Brille abnehmen

Schleppen Bewerber ihre alten Lasten aus dem früheren Job mit sich herum und haben sie diese aufgrund von Verdrängung nicht verarbeitet, ist es wahrscheinlich, neue Arbeitgeber zu idealisieren, wenn diese sich freundlich und entgegenkommend verhalten. Die Grundannahme: „Alles ist besser als mein alter Arbeitsplatz“.

Die rosarote Brille dürfen und müssen Bewerber jedoch ablegen. Unverarbeitete Themen verfolgen uns so lange, bis wir uns ihnen stellen. Wer sich beispielsweise schnell von Autoritätspersonen getriggert fühlt, wird auch im neuen Job ein Problem mit seinem Boss bekommen – zum Beispiel, wenn sich ein Missverständnis ergibt. Weil das Verhalten anderer nicht gut zu beeinflussen ist, liegt es außerhalb unserer Kontrolle.

Das einzige, was Arbeitnehmer neben dem Jobwechseln tun können, ist, sich mit den eigenen „Dämonen“ auseinanderzusetzen, Gefühle zu reflektieren und gegebenenfalls an sich zu arbeiten. Und vor allem ist es wichtig, niemanden zu idealisieren, um sich den Jobfrust in einer neuen Stelle zu ersparen. Auch nicht den neuen Arbeitgeber, weil keiner perfekt ist.

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Slaghuis: Bewerber dürfen sich ruhig Zeit nehmen

Gerade die Phase zwischen zwei Jobs, so Arbeitscoach Slaghuis, eigne sich gut für Selbstreflexion. Er rät dazu, sich Zeit zu lassen – auch in Anbetracht des Arbeitnehmermarktes. Man könne sich darüber klarwerden, welche Erwartungen man an einen neuen Job habe, was dieser einem bieten solle. Auf diese Weise ist es möglich, die eigenen Entscheidungen besser abzuwägen. Und: Selbstreflexion unterstützt uns auch dabei, herauszufinden, worauf wir in Zukunft unbedingt verzichten wollen.

Es stimmt, dass der Arbeitnehmermarkt wächst. Aktuell gibt es in Deutschland nicht ausreichend Fachkräfte und es fehlt in vielen Unternehmen Personal. Jetzt ist es erst die Zeit, um besonnen und geduldig zu reagieren – anstatt auf das erste Angebot zu fliegen, ohne sich weitere Möglichkeiten anzuschauen.

Wichtig ist deshalb auch, dass Bewerber sich über diese Entwicklung bewusst werden. Vor allem Arbeitnehmer, die einem Betrieb über mehrere Jahre treu sind und sich dann plötzlich auf der Suche befinden, spüren oft Verwirrung und Unsicherheit angesichts des neuen Arbeitnehmermarktes: Sie gehen immer noch davon aus, dass nur sie sich bei Unternehmen bewerben – und nicht andersherum. Dabei sind auch Arbeitnehmer heute gefragter denn je.

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Zusatztipp für Arbeitnehmer

Auch wenn Arbeitnehmer über mehrere Jahre für ein und denselben Arbeitgeber tätig waren, ist das keine Garantie dafür, dass sie sich ihres Wertes bewusst sind. Der Marktwert vieler Fachkräfte ist jedoch drastisch angestiegen. Je nach Branche sind auch Quereinsteiger gefragt und erfreuen sich neuer und größerer Möglichkeiten, wenn sie sich beispielsweise weiterbilden lassen können oder fehlende Skills in speziellen Programmen erlernen.

Wer über einen Jobwechsel nachdenkt und Jobfrust in der neuen Position verhindern will, sollte deshalb den eigenen Wert kennen und sich niemals unter diesem verkaufen. Denn dieser hat Gewicht – mit Sicherheit noch mehr Gewicht als noch vor einigen Jahren.

Fazit

Sich Zeit lassen, besonnen bleiben, Vertragsdetails prüfen, Erwartungen abgleichen: Blind Signing geschieht, wenn Arbeitnehmer diese Punkte außer Acht lassen. Aber auch Arbeitgeber können Kosten, Zeit und Nerven sparen, wenn sie nicht unter dem Druck des Personaldefizits einknicken und voreilige Entscheidungen treffen. Ein transparenter Rekrutierungsprozess erspart zudem beiden Seiten eine oft herbe Enttäuschung.

Bildnachweis: Foto von David Underland/Unsplash

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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