„Kopf hoch“ oder „Aufgeben ist keine Option“: Gut gemeint, aber oft schädlich – so sieht toxische Positivität aus.

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Was ist toxische Positivität?

Mit der Beförderung klappt es nicht. Deine Ehe bricht zusammen. Oder du bist unglücklich im Job. Aber Kollegen und Freunde schwafeln immer wieder etwas von „alles passiert aus einem Grund?“

Es stimmt: Positives Denken hat viele Vorteile. So vertritt Michelle Gielan, Journalistin, Glücksforscherin und Autorin zum Thema „Positive Psychologie“ die Ansicht, dass optimistische Menschen es in den meisten Fällen leichter hätten, eine neue Stelle zu finden. Und auch sonst herrscht Einigkeit darüber, dass ein positives Mindset das manchmal Bittere im Leben erträglicher macht.

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Die Dosis aber wird auch in diesem Fall das Gift machen. Denn zu viel blinder Optimismus kann schaden und gefährlich werden, wenn er unangebracht ist, schwierige Gefühle überschattet und dazu beiträgt, Niederlagen auch mal zu akzeptieren und die traurigen Dinge des Lebens zu verdrängen, um den Schmerz nicht spüren zu müssen.

Kurz: Sobald positives Denken Druck erzeugt, ist von tocix positivity oder toxischer Positivität die Rede.

Die Kehrseite der Positivität: Was hilft – und was hemmt

Kollegen und Führungskräfte, aber auch Familie, Freunde und Bekannte benutzen im Alltag Phrasen, die eigentlich „gut gemeint“ sind, oft aber ihre eigene Hilflosigkeit und Überforderung oder manchmal auch ihre Ignoranz spiegeln. Weil sie unangenehme Gefühle, die du gerade erlebst, selbst schlecht aushalten, werden sie es deshalb mit übertriebener Positivität versuchen, um Unangenehmes zwanghaft in Gutes zu verwandeln.

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Keine Frage: Auch wir selbst nutzen diese Phrasen, wenn wir Menschen leiden sehen und den Schmerz nicht aushalten. Ob sie in der Situation jedoch hilfreich sind, ist fraglich.

Was wir stattdessen tun können, ist, dem anderen ein offenes Ohr zu schenken, Herausforderungen gemeinsam aus- und durchzuhalten, wenn sie kaum zu ertragen sind, und aufmerksam nachzufragen, wie wir helfen können. Denn kluge Ratschläge sind nicht immer das, was wir brauchen, um uns gehört zu fühlen. Sie können uns sogar hemmen und dazu führen, dass wir uns verschließen, weil wir uns mit unserem Problem unverstanden fühlen.

Diese 8 typischen Sätze deuten auf toxische Positivität hin

1. „Good vibes only.“

Eine Trendphrase, die in den letzten Jahren um die Welt ging und es sogar auf T-Shirts, Tassen und Social-Media-Profile geschafft hat. Klingt auch irgendwie nice, oder?

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Aber: Psychologe und Speaker Konstantin Lukin sieht diese Art des Denkens kritisch. Es sei ein Versuch, jegliche Dinge aus den Gedanken zu verbannen, die Trigger für schwierige Emotionen sein könnten. Dabei sei es schädlich für uns, etwas, was nur natürlich ist, zu unterdrücken, weil die Verdrängung der unangenehmen Gefühle sogar das genaue Gegenteil bewirke. Wir fühlten uns danach möglicherweise noch niedergeschlagener.

2. „Anderen geht es doch viel schlechter als dir!“

Relativierungen mögen auf den ersten Blick hilfreich erscheinen. Sie werden aber unseren eigenen Schmerz nicht ungeschehen machen, auch wenn wir aus vermeintlich logischen Gründen zunächst glauben, dass ein Vergleich das eigene Problem kleiner erscheinen lässt.

Der Hinweis, dass es andere doch viel mieser erwischt hätte, kann für einen kurzen Moment trösten. Das war es aber auch schon.

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3. „Hör doch einfach auf, über dieses Problem nachzudenken.“

Wenn es so simpel wäre, wie es klingt, hätten wir einige Probleme in unserem Leben gelöst. Einfach „aufzuhören“ über etwas nachzudenken? Das suggeriert, dass wir einen An- und Ausschaltknopf im Gehirn hätten, den wir beliebig bedienen können. Tatsächlich sind wir aber aus rein kognitiver Sicht nicht in der Lage, mentale Prozesse aus dem Nichts umzustrukturieren. Es braucht viel Kraft und Arbeit, bis wir einen Punkt erreichen, der es uns ermöglicht, mit dem Grübeln aufzuhören.

Was hingegen möglich ist, etwa im Rahmen einer Verhaltenstherapie: lernen, innere Räume zu schaffen. Wenn der Leidensdruck so groß ist, dass die Gedanken kaum auszuhalten sind, kann professionelle Hilfe Erleichterung verschaffen.

4. „Erwarte nichts. So wirst du weniger leiden.“

Ob berufliche Ziele oder private Herausforderungen: Wir alle haben Träume. Und mit diesen Träumen gehen Erwartungen einher. Erwartungen gar nicht erst zu haben, entspricht schlicht und ergreifend nicht unserem Wesen – und es ist auch in Ordnung, diese Erwartungen zu haben und dennoch enttäuscht zu werden. Zwanghaft zu versuchen, Erwartungen zu unterdrücken, ist lediglich der Versuch, Enttäuschungen zu vermeiden.

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Vielleicht geht es eher um das Abwägen von realistischen und unrealistischen Erwartungen: Alles, was wir selbst beeinflussen können, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsere Wünsche erfüllen. Liegt es hingegen nicht zu 100 Prozent in unserer Hand, ob wir beispielsweise eine Jobzusage erhalten oder von einem Unternehmen betriebsbedingt gekündigt werden, hilft es auch nicht, sich selbst einem hohen Erwartungsdruck auszusetzen.

5. „Aufgeben? Das ist doch keine Lösung/Option!“

Doch – auch das Aufgeben ist eine realistische Option für jemanden, der andere Ziele hat als wir selbst, anders zum Thema „Scheitern“ steht und vielleicht sogar davon überzeugt ist, dass die Akzeptanz einer Niederlage Stärke beweist.

Andere unter Druck zu setzen, um sie bloß nicht aufgeben zu sehen, kann manchmal motivierend wirken – und manchmal komplett nach hinten losgehen, wenn der Motivationsversuch toxisch wird. Jeder entscheidet selbst, wann etwas zu viel wird und wann ein guter Zeitpunkt ist, um aufzuhören.

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6. „Denke einfach an etwas Gutes!“

Der offensichtlichste Beweis für toxische Positivität ist, andere bewusst dazu bringen zu wollen, jegliche negativen Gedanken im Keim zu ersticken und eitel Sonnenschein vorzuspielen. Aber vorgetäuschte Harmonie kann besonders giftig sein, weil sie es schafft, Konflikte gar nicht erst sichtbar werden zu lassen.

Natürlich können wir versuchen, negative Emotionen – und das ist eine Wertung, die wir oft selbst vornehmen – zu unterdrücken, indem wir uns auf das Positive konzentrieren. Kurzfristig mag das auch die Wirkung haben, die wir gerade brauchen, um uns aufzurappeln, nach einer Entlassung wieder Hoffnung zu schöpfen, Bewerbungen zu schreiben und mutig auf Jobsuche zu gehen.

Was wir aber nicht vergessen dürfen, ist die Tatsache, dass es sogar wichtig ist, trauern zu dürfen. Wir dürfen um unseren alten Job trauern oder wir dürfen den Verlust eines guten Freundes betrauern.

7. „Sei doch dankbar. Mich hat es damals schlimmer erwischt.“

Schmerzempfinden ist individuell. Das, was für den einen unerträglich ist, mag dem anderen wie eine Bagatelle vorkommen. Wir sollten jedoch im Hinterkopf behalten, dass wir nie wissen, welches Leid andere tatsächlich beschäftigt und welche finanziellen, sozialen oder psychischen Folgen ein Ereignis für sie haben kann.

8. „Was dich nicht umbringt, macht dich -“

Stärker? Ja, wir alle kennen den Satz zur Genüge. Und es stimmt, dass schwierige Erlebnisse unsere Resilienz fördern können. Sie müssen es aber nicht – und hier liegt auch das Problem. Der verzweifelte Aufmunterungsversuch mag vielleicht gut gemeint sein. Tatsächlich kann Schmerz jedoch zerstörerisch und grausam sein, wenn er etwa Traumata bei Betroffenen hinterlässt. Einen Krieg überlebt zu haben, bedeutet deshalb zum Beispiel nicht, dass uns dieses Erlebnis gestärkt hat – zumindest nicht jeden. Denn auch dieses Erleben und die Verarbeitung sind individuell.

Bild: Foto von Roman Denisenko/Unsplash

Anne und Fred von arbeits-abc.de
Foto: Julia Funke

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